Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Lassen Sie sich vom Augenblick berühren und halten einen Moment inne, um zu genießen? Die Zeitung Washington Post wollte es wissen: Nehmen wir Menschen Schönheit wahr, wenn sie uns im ungewohnten Umfeld begegnet? Sie haben einen berühmten Geiger für ein Experiment engagiert.
Im Eingangsbereich einer U-Bahn im amerikanischen Washington hat er Geige gespielt: mit Baseballkappe, T-Shirt und Jeans. In den nächsten 30 Minuten laufen über tausend Menschen an ihm vorbei. Sechs von ihnen bleiben einen kurzen Moment stehen. 20 werfen im Vorübergehen Geld in den Geigenkasten. Nur ein dreijähriger Junge hält wirklich an. Gegen den Protest seiner Mutter lauscht er andächtig dem Straßenmusiker, bis seine Mutter ihn endlich energisch fortzieht.
Lassen wir uns vom Augenblick berühren und halten wir einen Moment inne, um zu genießen? Nein – so lautet die Antwort des Experiments auf diese Fragen.
Aber wenn wir nicht die Zeit besitzen, anzuhalten und Joshua Bell, einem der besten Geiger der Welt, zuzuhören, wie er gerade einige der großartigsten Stücke spielt, die je komponiert worden sind, wie viele andere Dinge verpassen wir dann in unserem Leben?, hat die Washington Post ihre Leser gefragt.
Eine gute Frage – auch an mich.
Denn wahrscheinlich hätte ich auch diesen besonderen Augenblick in der U-Bahn-Station verpasst und wäre achtlos an Joshua Bell vorbeigeeilt – den Kopf voll mit Dingen, die ich alle noch zu erledigen habe.
Dabei zeigt das Experiment doch auch, dass sich gerade dann – mitten in unserem Alltagstrott und an ganz ungewohnten Orten kleine und große Wunder Gottes verbergen.
Die Frage ist nur: Wie kann ich aufmerksamer für sie werden? Zumindest ab und zu, mehr will ich ja gar nicht. Denn wenn ich mir vornehmen würde, jedes Wunder Gottes zu bestaunen, dann hätte ich ja für nichts anderes mehr Zeit.
Ich habe mir jetzt zum Ziel gesetzt, einmal am Tag etwas Schönes zu entdecken und es zu genießen – kurz, aber bewusst. Vielleicht nur 2 Minuten lang, aber immerhin. Zum Beispiel eine besondere Wolkenformation, einen Vogelflug, eine Pflanze am Wegrand, die Strömung des Baches in meiner Nachbarschaft, spielende Kinder, ein turtelndes Liebespaar – oder was es sonst zu bestaunen gibt.
Einmal am Tag einen besonderen Moment lang, möchte ich ein kleines Wunder entdecken und es genießen.
Das muss doch machbar sein, auch für mich. Für Sie vielleicht auch?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16793
weiterlesen...