Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Die Läden sind an Heiligabend offen. Überall kann man heute noch Last-minute-Geschenke besorgen. Andere kaufen fürs Essen ein, natürlich auf den letzten Drücker, denn das Gemüse soll ja auch übermorgen noch frisch sein. Und dann, wenn der Kühlschrank voll ist, der Baum geschmückt und das letzte Geschenk eingepackt, dann nähert sich das Gefühlsbarometer dem Höhepunkt des Jahres.

Nein, Sie müssen es nicht geschafft haben, sechs Sorten Gebäck zu backen und die Wohnung zu putzen. Sie müssen sich nicht schick machen wie zu einem Ball. Sie müssen Ihre Lieben oder Ihre Gäste auch nicht mit dem ausgefallenen Fünf-Gänge-Menü überraschen, das die Gourmet-Zeitschrift für dieses Jahr vorschlägt. Lassen Sie sich um Gottes willen nicht einreden, Weihnachten sei nur dann gelungen, wenn sie all das geschafft haben, was Sie von sich erwarten.

Um Gottes willen – ja, denn eigentlich feiern wir Weihnachten um Gottes willen. Wir feiern, dass wir Besuch bekommen, hohen Besuch, ja, höchsten Besuch: Gott selbst kommt. Jedes Jahr geben wir uns eine solche Mühe. Und manchmal vergessen wir dann vor lauter Vorbereitung den Besuch und wissen gar nicht mehr recht, dass wir jemanden erwarten.

 Dabei will Gott doch gar nicht in einen Vorzeigehaushalt einer Vorzeigefamilie kommen. Viel wohler fühlt er sich, wenn er in der ganz normale Mittelmäßigkeit unseres Alltags willkommen ist. Ich vermute, dass er sich dort am wohlsten fühlt, wo man allenfalls die besten Freunde hinführen kann. Er will einfach dabei sein, teilhaben an unserer Freude, unseren Tränen und unserer Hoffnung. So hat er’s immer gehalten. So war’s schon damals, in Betlehem. Lukas erzählt uns in seinem Weihnachtsevangelium davon: damals ist es weder stilvoll noch sauber zugegangen, es gab keine gerade gewachsene Nordmanntanne, keine geputzten Fenster, nicht einmal ein anständiges Haus. Ein Stall, heißt es bei Lukas, ist der Ort, an dem das geschehen ist, was wir bis heute feiern. Ein junges Elternpaar und ein Stall mit einem Futtertrog, das hat Gott gereicht für seine Geburt auf der Erde.

Warum also machen wir uns Jahr für Jahr diesen Stress? Vielleicht versuchen wir’s ja tatsächlich mal, diese Tage zu einer perfektionismusfreien Zone zu machen. Um Gottes willen – und um der Menschen willen, die einfach so sein dürfen, wie sie sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16734
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