Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Leute, die einen Garten haben, schneiden heute ein paar kahle Zweige ab, vom Kirschbaum oder von einem Forsythienbusch. Wenn man die ins Haus holt und in eine Vase stellt, fangen sie um Weihnachten herum an zu blühen.
Barbarazweige nennt man sie. Der Brauch soll an eine junge Frau erinnern, die um 300 nach Christus zum Christentum übergetreten war. Deshalb wollte sie dann nicht mehr den Mann heiraten, den ihr Vater  für sie ausgesucht hatte. Der eigene Vater ließ sie deshalb einsperren und foltern und schließlich wurde sie zum Tode verurteilt. Die Legende erzählt, dass sich auf dem Weg ins Gefängnis ein Kirschzweig in ihrem Kleid verfing. Den nahm sie mit, und nach ein paar Wochen hat der kahle Zweig im Kerker ausgeschlagen und geblüht. Irgendwie hat das die standhafte junge Frau ein bisschen getröstet.
Aus dieser Legende entstand der Brauch, am 4. Dezember Barbarazweige abzuschneiden. Ich finde das schön. Aber mein kritischer Sohn fragt: „Was hat das denn mit Weihnachten zu tun? Schon wieder so ein kitschiger Brauch!“
Kitschig finde ich Kirschblüten nun nicht. Aber eigentlich hat er recht: Mit Weihnachten direkt hat das nichts zu tun. Oder vielleicht doch?
Wir Christen feiern an Weihnachten, dass neues Leben anfängt, weil Gott zur Welt gekommen ist – Das kann man erzählen und ich singe davon auch gern in den Adventsliedern.  Aber ich möchte es auch noch anders spüren und erleben, dass das wahr ist. Deshalb geben sich Menschen in der Zeit vor Weihnachten ja auch mehr Mühe als sonst miteinander: Sie suchen Geschenke aus, sie dekorieren die Wohnung, sie zünden Kerzen an. Sie möchten anderen und auch sich selbst eine Freude machen. Sie möchten spüren, dass das Leben neu werden kann, anders, besser.
Und die blühenden Zweige mitten im Winter, die führen einem das sozusagen vor Augen: Es ist möglich. Das Leben kann wieder zu blühen anfangen. Sicher: Heute kann man den ganzen Winter über Blumen kaufen. Aber früher war das nicht so. Ich kann mir vorstellen, wie gut den Leuten da ein paar leuchtende Forsythien im dunklen Dezember getan haben. Und wer sich in der Bibel auskennt, der erinnert sich vielleicht, wie da der Retter beschrieben wird, auf den man gewartet hat: „Aus einem toten Baumstumpf wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“ (Jes 11,1) Für die Christen war später ganz klar, damit ist Jesus gemeint.
Blüten an einem kahlen Zweig: Direkt hat das mit Weihnachten nichts zu tun. Trotzdem ist es schön, zu sehen, wie die Knospen dicker werden und schließlich aufgehen.
Und wenn sie keinen Garten haben: Man kann die kahlen Zweige auch auf dem Markt kaufen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16515
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