Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Was soll mit den Flüchtlingen geschehen, die an Europas Küsten angespült und auf ganz Europa verteilt werden – allmählich auch in Gemeinden bei uns? Die europäischen Politiker diskutieren darüber und viele Gemeinden in Deutschland auch.
Alle haben guten Willen, alle wollen helfen. Aber man hört bei den Beratungen doch auch heraus: Die vielen Flüchtlinge sind ein Problem und Probleme, die Geld kosten, möchte man am liebsten nicht haben.
Dass man das auch anders sehen kann, zeigt ein kleiner Ort in Italien. Ausgerechnet auf der Insel, die ständig in den Schlagzeilen ist: auf Lampedusa.
Alles begann vor 15 Jahren, als ein Boot mit 218 Flüchtlingen unweit des Dorfes Riace auf Lampedusa strandete. Statt mitanzusehen, wie die Menschen in eines der Auffanglager der Insel verfrachtet werden, hat der Bürgermeister die Flüchtlinge in sein Dorf eingeladen und ihnen angeboten, sich dort anzusiedeln.
Eigentlich eine irrsinnige Idee: Ein strukturschwaches Dorf, bettelarm und halbverfallen. Und da sollten die Einwohner das Wenige, was sie haben, mit noch Bedürftigeren teilen?
Aber während das restliche Europa hinter dem Strom der Flüchtlinge vor allem die Kosten und die Mühen sieht, hat Domenico Lucano die Chancen erkannt, die die Flüchtlinge für Riace bedeuten könnten.
Uneigennützig war die Entscheidung also nicht. Aber das ist ja auch in Ordnung. Denn: „Hilfe ist eine Straße, die man auf beiden Seiten befährt“, sagt er. Konkret heißt das: Sein Dorf hat den Flüchtlingen ein Zuhause geboten, im Gegenzug haben die Flüchtlinge geholfen, dieses Zuhause am Leben zu erhalten.
Damals, vor 15 Jahren, war Riace vom Aussterben bedroht, heute ist es wieder eine lebensfähige Gemeinde. Fast jeder dritte Bewohner ist zugewandert. Pro aufgenommenen Flüchtling gibt es eine Geldzuweisung. Weniger als der Staat für die Unterbringung im Flüchtlingslager bezahlen müsste. Aber das Geld war auch ein Grund, warum die Asylbewerber in Riace so freundlich aufgenommen wurden. Denn mit dieser Finanzspritze konnten die leerstehenden Häuser renoviert, konnten Arbeitsplätze geschaffen werden, sogar eine Künstlerwerkstatt. Und davon profitiert inzwischen das ganze Dorf: der Bäcker, der Metzger, die Handwerker. Und ohne die Flüchtlingskinder hätte die Schule schon längst wegen Schülermangels schließen müssen.
Hilfe ist keine Einbahnstraße – das zeigt ein Blick auf das italienische Dorf Riace. Und ich finde: Auch bei uns müsste sie das nicht sein. Schade, dass wir so wenig auf die Chancen schauen, die die Flüchtlinge für uns bedeuten könnten. Wer weiß, was uns da alles entgeht!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16346
weiterlesen...