Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Meine Eltern haben für ihren Tod eine anonyme Bestattung verfügt. Sie waren ganz stolz darauf, denn schließlich wollten sie für uns Kinder nur das Beste: keine Belastungen durch hohe Bestattungskosten und vor allem keine Mühen mit der Grabpflege.
Aber, obwohl meine Eltern es gut gemeint haben: Ich war entsetzt über diese Entscheidung. Ich weiß: anonyme Bestattungen werden immer beliebter. Aber ich habe gemerkt: Ich könnte das nicht gut aushalten. Auch wenn ich weit weg wohne von meinen Eltern: Ich möchte einen Ort haben, an den ich denken kann, wenn ich mich an sie erinnere und einen Ort, an den ich hinkommen kann.
„Ihr wisst schon“; habe ich gesagt, „dass wir dann keinen Ort für unsere Trauer haben? Keinen Ort, an dem wir uns an Euch erinnern können. Und Lena und Jan werden später niemals ihren Kindern den Ort zeigen können, an dem ihre Großeltern beerdigt wurden.“
Bei anonymen Bestattungen gibt es vielleicht eine bestimmte Rasenfläche, wo die Menschen bestattet werden, aber kein Stein, kein Schild zeigt den genauen Beerdigungsort und kein Name, kein Geburtstag, kein Sterbedatum ist verzeichnet. Die dort Begrabenen bleiben anonym, ihre Namen sind weg.
Ob das den Menschen bewusst ist, die sich für eine anonyme Bestattung entscheiden? Dass sie zwar ihren Angehörigen die Grabpflege ersparen, aber ihnen dafür das Trauern schwer machen und die Erinnerung? Dabei gibt es auch andere Wege, seine Angehörigen von der Grabpflege zu entlasten: z.B. durch ein Urnengrab mit einer großen Platte darauf, die die Grabpflege überflüssig macht, aber Platz lässt für den Namen und das Geburts- und Sterbedatum.
In der Zeit der Bibel galt das Vergessen des Namens als der eigentliche Tod eines Menschen. Ich finde, da ist etwas Wahres dran, denn wenn der Name eines Menschen ausgelöscht wird, dann verschwindet irgendwann auch die Erinnerung an ihn. Und mit der zunehmenden Zahl von anonymen Bestattungen geht dann auch ein Teil unserer eigenen Geschichte verloren. Die Menschen, die vor uns waren und uns geprägt haben, haben keinen Platz mehr.
Und deswegen brauchen wir unsere Friedhöfe, finde ich. Wir brauchen die Gräber mit den Namen derer, die verstorben sind, um ein Zeichen zu setzen gegen den Trend der Zeit; gegen die Anonymisierung unserer Gesellschaft.
Damit die Erinnerung an einen Menschen bewahrt wird – in unserem Gedächtnis und auf unseren Friedhöfen – denn hinter jedem Namen verbirgt sich eine Lebensgeschichte mit ihren Hoffnungen, mit Leidenschaft, Mut und Verzweiflung. Und jede Lebensgeschichte ist es wert, dass wir uns an sie erinnern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16345
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