SWR1 Begegnungen

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begegnungen > portrait-lea-ackermann.jpgSie war eine erfolgreiche Bankkauffrau, ist heute Ordensschwester, ungemein willensstark und richtig wütend über die sexuelle Ausbeutung von Frauen. Anstatt nur zu reden, handelt Schwester Lea Ackermann - und gründete eine Hilfsorganisation. Zunächst in Afrika, später auch in Deutschland und Rumänien. Linda Degenstein von der Katholischen Kirche hat Schwester Lea Ackermann in Hirzenach bei Boppard getroffen.

Auf einer Reise nach Bangkok wurden Schwester Lea die Augen geöffnet. Ein Taxifahrer bot ihren männlichen Mitreisenden seine eigene kleine Schwester an - ganz jung, ganz billig. Auf einmal, so sagt sie, habe sie überall Gewalt gegen Frauen gesehen. So auch in Kenia, wo sie viele Jahre als Missionsschwester gearbeitet hat.

Und dann kommen die Touristen, sind auch nicht alle reich, aber sie können sich eine Weltreise erlauben und dann sehen sie die Armut und Elend von Frauen und Kindern und kaufen das für ihr billiges Vergnügen und das hat mich wütend und rasend gemacht.

Anstatt sich nur in ihrem Klosterkämmerlein zu ärgern, ist Schwester Lea damals losgezogen und hat in Kenia das Frauenprojekt Solwodi gegründet: Solidarität mit Frauen in Not. Was mit einer improvisierten Baracke in Ostafrika begonnen hat, ist inzwischen zu einem international etablierten Hilfswerk geworden. Auch in Deutschland helfen Mitarbeiterinnen Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution geworden sind. Wie dem 15-jährigen Mädchen, das vor einem ¾ Jahr von der Polizei zu Solwodi gebracht wurde.

Es hat sich dann herausgestellt, dass sie aus einem osteuropäischen Kinderheim stammt und dort mit 13 Jahren von einem Deutschen, oder mit deutschen Pass, ich weiß es im Moment nicht ganz genau, 30-jährig aus dem Kinderheim geholt wurde und hier in Flatrate-Bordellen angeboten wurde. Und der hat Reklame gemacht mit diesem Mädchen: Teenie und tabulos...Es ist einfach unglaublich.

An dieser Stelle unseres Gesprächs müssen wir beide erst einmal eine Pause machen. Schwester Lea hat 1000ende Mädchen und Frauen mit ähnlichen Schicksalen getroffen, aber jedes Mal geht es nah. Und sie ist verärgert darüber, wie wenig die Mädchen und Frauen von der deutschen Justiz geschützt werden.

Dann ging der Prozess zu Ende für einen der Haupttäter und der bekam dann ein Jahr und vier Monate auf Bewährung.  Und die Richterin muss gesagt haben, naja, teilweise muss das Mädchen das ja auch freiwillig gemacht haben. Ich bitte Sie, eine 13-jährige, das ist so was Ungeheuerliches. Ich hatte keine Sprache mehr dafür, ich hatte nur noch Wut.

Jahrelang kämpften Schwester Lea und ihre Mitarbeiterinnen für mehr Rechte für die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Doch seit dem enttäuschenden Prozessende gehen sie noch einen Schritt weiter und fordern, nach dem Vorbild Schwedens, ein Europa ohne Prostitution. Deswegen haben sie die Petition „Mach den Schluss-Strich" ins Leben gerufen und hoffen auf jede Menge Unterstützung:

Wenn wir genügend Unterschriften bekämen, 50.000 wären toll, dann würde die Politik da auch hellhörig werden und es muss eine klare Aussage geben und eine klare Aussage ist: der Kauf von Sex ist verboten!

Die Petition finden Sie auf der Internetseite von Solwodi: www.solwodi.de. Sr. Lea hat Wünsche - für ihre Arbeit, aber auch an Papst Franziskus. Mehr dazu....

Ich möchte von Schwester Lea wissen, was sie von Appellen hält, Prostituierte nicht nur als Opfer und Objekte einer ausbeuterischen Industrie zu sehen. So beschreibt ein Verein für Prostituiertenselbsthilfe osteuropäische Huren in Deutschland als taffe, selbstbewusste Frauen, die ihre Perspektivlosigkeit durch Migration und Prostitutionselbstbestimmt beenden wollten.

Kann man dann sagen, die Frauen sind total selbstbestimmt, wenn sie keinen anderen Ausweg sehen? Das würde ich sehr in Zweifel ziehen.  Wissen sie, ich bin jetzt seit 30 Jahren mit diesem Thema und Frauen in der Prostitution beschäftigt, und keine einzige Frau, die Vertrauen in mich hatte, hat gesagt, dass das völlig freiwillig geschieht. Keine einzige. Aber alle aus Perspektivlosigkeit, das ja.

Im Laufe unseres Gesprächs lerne ich die Schicksale einiger dieser Frauen kennen. Mir gehen die Erzählungen sehr nahe, machen auch mich wütend und betroffen.
Wie sie das alles aushält, erträgt, frage ich nach?

Ich glaube, ich halte das nur aus über meine Wut und einzelnen kann ich helfen. Ich kann nicht allen helfen, ich kann auch nicht die ganze Welt heil machen, aber ich denke, an meinem Platz konnte ich Frauen Perspektiven eröffnen. Die gehen in die Schule, die machen eine Ausbildung wenn sie bei uns sind, wir entwickeln Zukunftsperspektiven und wir haben Frauen, ja, die haben es geschafft, sie kommen aus der Perspektivlosigkeit raus, dann ist das wunderbar.

Wut ist ein Antrieb, kleine Erfolge geben ihr Kraft. Aber auch das Gefühl, das Richtige zu tun. „Gott hat keine anderen Hände als die unseren", sagt sie. Ihr Einsatz für die Frauen gilt auch für deren Platz in der katholischen Kirche. Dabei setzt sie ihre Hoffnung auch auf Papst Franziskus, dessen unkonventionelle Art sie richtig sympathisch findet.

Und jetzt soll er ja auch gesagt haben: Die Frauen müssen mehr Entscheidungskompetenz in der Kirche bekommen, ja ich hoffe dass das weitergeht, die Gleichstellung von Mann und Frau auch in der Kirche sichtbar wird. Denn die Frauen haben Charisma und das können sie in der Kirche noch nicht einbringen. Und das finde ich ein Unrecht und das versuche ich auch immer wieder zu sagen und nicht zu verschleiern.

Schwester Leas Engagement ist ansteckend, auch für mich. Veränderungen sind immer möglich. Man könnte glauben, mit 76 Jahren wäre es an der Zeit, ein wenig kürzer zu treten. Aber Schwester Leas Terminkalender ist voll. Von Boppard aus bricht die Solwodi-Gründerin immer wieder auf, um Gewalt gegen Frauen anzuprangern und für Unterstützung zu werben. Eine Sache wünscht sie sich für die Zukunft - eine Nachfolgerin, am liebsten eine Ordensschwester.

Ich will, solange es notwendig ist, dass es gut weitergeht, also für die Frauen. Das wir ein Ort sind wo die Fähigkeiten, Gaben und Charismen der Frauen zum Ausdruck gebracht wird, gerade bei den Frauen, die nie eine Chance hatten, dass sich das entfalten kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16188
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