SWR2 Wort zum Tag

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Im Lukasevangelium sagt Jesus an einer Stelle: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?"
Und weiter sagt er: „Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: ‚Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!' , während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen."
Einerseits fühle ich mich da immer ein wenig ertappt, weil ich andere ganz gern auf ihre Fehler hinweise. Und wenn ich sie nicht darauf hinweise, dann nutze ich die Fehler der anderen immerhin, um meinen Ärger zu pflegen.
Andererseits finde ich es auch ganz natürlich, wenn ich den Splitter im Auge der Anderen leichter sehe. Ich kann ja nicht in mein eigenes Auge gucken. Auch die Psychologie kennt das Phänomen: Wir stören uns bei anderen an Dingen, die für uns selber ein Thema sind. Ich ärgere mich darüber, dass die anderen das Geschirr in der Küche stehen lassen, anstatt es in die Spülmaschine zu räumen. Ich lasse aber selber oft etwas stehen. Ich ärgere mich, wenn mein Gegenüber nicht klar sagt, was er oder sie will. Aber ich entscheide auch nicht gern, was ich jetzt gerade will.
Wir wissen nicht, in welchem Ton Jesus die Worte vom Splitter und vom Balken sagt. Vielleicht mahnend und ärgerlich? Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass Jesus das liebevoll sagt. Und ein wenig Humor ist bei diesem etwas schrägen Bild sicher auch dabei. Wenn ich einen Balken im Auge hätte, dürfte ich ja eigentlich gar nichts mehr sehen. Dazu passt auch die Frage, die Jesus kurz vorher stellt: „Kann ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen?" Er macht sich ein bisschen lustig über uns Menschen; wir wissen immer, was für andere gut ist. Dabei hätten wir mit uns selbst genug zu tun.
Jesus geht es nicht darum, dass wir selbst perfekt werden und dann anderen helfen. Es ist gar nicht möglich, alle meine Balken aus dem Auge zu ziehen. Er fordert uns auf: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden."
Ein Bekannter hat mir sein Rezept dazu verraten: „Wenn Du Dich ärgerst und auf andere schimpfen möchtest, denk dir doch noch einen Satz dazu. „Ach ja, das passiert mir auch!" So lautet der Satz für mich und dieser kleine Satz entspannt tatsächlich die ein oder andere Situation. Leichter kann ich mir mein eigenes Verhalten noch mit einem „manchmal"  eingestehen. Aber ich vermute mal, Jesus hat nichts dagegen, wenn ich seine Aufforderung  auch auf mich selbst anwende: „Sei barmherzig, wie es auch dein Vater ist!"

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