Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Manchmal bräuchte ich jemanden, der mir eine goldene Brücke baut. Kennen Sie das auch? Ich habe mich verrannt, vielleicht bloß aus Trotz, weil niemand meinem Vorschlag folgen wollte. Und nun sehe ich: es war wirklich der falsche Weg. Aber soll ich das zugeben? Verbissen und bockig bleibe ich bei meiner Position, trotzig weiter, immer in die falsche Richtung. Manchmal bräuchte ich einen, der mir eine goldene Brücke baut.
Jesus war ein Meister im goldene Brücken bauen. Ich denke an die Geschichte mit Zachäus, dem kleinen Zöllner in Jericho. Zöllner waren damals miese Typen. Zur Kollaboration mit der Besatzungsmacht gezwungen wurden sie verachtet und geschnitten. Und um trotzdem auf ihre Kosten zu kommen, erpressten sie erhöhte Abgaben, die sie in die eigene Tasche steckten. Zachäus war auf diese Weise reich geworden. Und hatte anscheinend doch alles verloren – niemand, der mit ihm zu tun haben wollte. Die Leute wünschten ihn zur Hölle.
Dann kam Jesus in die Stadt. Das war ein richtiger Event für damalige Verhältnisse, hunderte strömten zusammen. Keiner wäre auf die Idee gekommen, den kleinen Zachäus vorzulassen, damit der auch was sieht. Für Zachäus würde niemand Platz machen. Für ihn würde niemand einen Finger rühren. Zachäus wusste das. Deshalb fragte er gar nicht erst. Er brauchte niemanden. Er kam schon zurecht! Zachäus wollte nicht hören und spüren, was sie von ihm hielten. Kurzerhand stieg er auf einen Baum. So musste er niemanden um Hilfe bitten. Und von da oben hatte er auch ohne die anderen den Überblick. Ziemlich allein saß er da oben, irgendwie verloren.
Dann kam Jesus vorbei. „Zachäus komm runter! Dich will ich heute besuchen!“ Da war sie, die goldene Brücke. Kein: was machst du denn da oben? Kein: Brauchst du vielleicht Hilfe? Kein: Da siehst du mal, wo du hingeraten bist. Auch kein: vielleicht solltest du mal überlegen, wie es dazu gekommen ist?
Jesus lädt sich bei Zachäus ein. Ohne Kommentar. So, als ob er Hilfe braucht: einen Imbiss vielleicht, einen Platz, um die Füße hochzulegen. Und Zachäus freut sich, steigt vom Baum herunter, bewirtet Jesus und seine Begleiter. Und erklärt, dass er den Schaden wieder gut machen will, den er bei so vielen angerichtet hat. Die goldene Brücke hat funktioniert. Keiner fragt, was war. Zachäus muss sich keine Vorwürfe anhören. Er muss sich nicht rechtfertigen. Er wird gebraucht. So hat Zachäus wieder auf den richtigen Weg gefunden. Und ich glaube: so funktioniert das auch heute. Gott sei Dank..
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