Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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 „War Jesus liberal?" - diese Frage zielt natürlich nicht auf eine politische Gesinnung. „War Jesus liberal?" - so hat der Bibeltheologe Ernst Käsemann vor 50 Jahren gefragt.* Ich greife das gerne wieder auf und teile seine Feststellung: „Liberal war Jesus anders als alle andern". Das lässt sich leicht nachweisen: wenn ich in den Evangelien genau hinschaue, wie Jesus mit Menschen umgegangen ist - gerade mit denen, die bei den „andern" keine Chance hatten.  

Der Ruf der Freiheit, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1968/4, S.52

 

 

 

 

Kinder, zum Beispiel, standen damals im Abseits, am Rande der Gesellschaft. Jesus hat Kinder um sich versammelt. Er hat sie gesegnet. Und er hat die Erwachsenen daran erinnert, wie aufgeschlossen Kinder sind, und dass sie von ihnen lernen können. 

Frauen hatten in der Männer-Gesellschaft von damals nichts zu melden. Frauen haben Jesus begleitet und ihn als einen besonderen Mann erlebt: kraftvoll, aber auch einfühlsam, liebevoll, zärtlich. 

Kranke galten nach damaligen Vorstellungen als von Gott gestraft - für was auch immer. Sie waren ausgeschlossen aus der Gesellschaft. Jesus hat Kranke geheilt und so ihr Leben verändert. Es hatte wieder Sinn und Zukunft. 

Arme waren nach Meinung der Reichen selber schuld an ihrem Schicksal. Jesus hat eine Vorliebe für Arme. An sie hat er immer wieder Brot ausgeteilt. Und die Seinen fordert er bis heute auf: „Gebt ihr ihnen zu essen!" (Lukas 9,13) 

Jesus zeigt den Menschen Umrisse eines ganz anderen Lebens, eines Lebens, nach dem sie sich zutiefst sehnen. Er lässt sie wissen und spüren, dass Gott ihnen gut will, dass er sie liebt, vorbehaltlos liebt: Wer schuldig wurde, dem hat Jesus verziehen. Wer am Boden war, dem hat er Mut gemacht, wieder aufrecht zu gehen. Wer abgeschrieben war, dem hat er seine Würde zurückgegeben, Wer gescheitert war, dem hat Jesus neue Lebensperspektiven eröffnet. 

Und dann fasziniert mich immer wieder die Freiheit und die Toleranz, mit der Jesus Fremde und Heiden - sprich: Nichtjuden - in die Mitte rückt, aufgrund ihres vorbildlichen Verhaltens. Frauen und Männer, die kaum etwas von dem Gott Israels wissen, die sich aber so verhalten, wie Gott es sich wünscht. 

Jesus erzählt von einem Mann aus Samarien. Dieser Samariter hat sich als einziger einem Notleidenden als Nächster erwiesen, eben als „barmherziger Samariter". Das Brisante daran ist: Die Samariter waren nämlich in den Augen frommer Juden Ketzer, Falschgläubige. Und sie mieden jeden Kontakt mit ihnen. Und dann kommt Jesus und stellt so einen Außenseiter als Vorbild hin. (Lukas 10,25-37) 

Ja - so ist Jesus! Und was mich besonders herausfordert ist, wenn Jesus sagt: „Dann geh und handle genauso!"

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