Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt läuft die Zeit; wir laufen mit." Wilhelm Busch hat viel  geschrieben, aber dieser Satz wird am häufigsten zitiert. Ein Leben lang rennen wir  ‚im Sauseschritt' neben der Zeit her wie neben einem fahrenden Zug, dieses Gefühl kennen wir vielleicht alle. Zumindest wir Erwachsenen. Aber es gibt nicht nur die Zeit, die wie im Flug vergeht. Immer wieder erleben wir Minuten, die quälend lang werden und sich wie Stunden anfühlen. Wenn ich auf den erlösenden Anruf warte, dass die OP geglückt ist oder das Flugzeug gut gelandet. Wenn ich in der Nacht wach liege und jede Viertelstunde schlagen höre.

Ob mir die Zeit zu schnell vergeht oder zu langsam, der Uhr ist das egal. Sie kennt nur die messbare Zeit und hackt die Stunden in immer gleiche Minuten und die in Sekunden. Es ist ein und dieselbe Zeit und doch hat sie so unterschiedliche Gesichter und fühlt sich so verschieden an. Die alten Griechen hatten für das unterschiedliche Erleben auch unterschiedliche Begriffe. Die Zeit, die immer gleich ist und die man messen kann, nannten sie Chronos. Die andere Zeit, der ganz besondere Augenblick, die einmalige Gelegenheit, sie heißt Kairos. Diese abstrakten Begriffe hat man sich als Götter vorgestellt und in menschlicher Gestalt dargestellt. Interessant ist, dass Kairos, der Gott des richtigen Augenblicks, in seiner Darstellung vorn Haare hat und am Hinterkopf kahl ist. Das heißt: ich kann den Augenblick nur ergreifen, wenn er auf mich zukommt, wenn er vorbei gegangen ist, von hinten, bekomme ich ihn nicht mehr zu fassen, es ist zu spät.

 Auch in der Bibel findet sich etwas von dieser antiken Vorstellung. Natürlich ist die Zeit hier keine Gottheit, sondern Gottes Geschenk. Aber auch da gilt: Zeit ist nicht gleich Zeit - denn „alles hat seine Zeit" (Kohelet 3). Manchmal muss ich warten können, bis etwas dran ist, ein Gespräch oder eine Entscheidung. Und dann wieder darf ich nicht warten, sonst versäume ich etwas, das ich nie mehr nachholen kann.

Ich möchte das ernst nehmen, dass alles seine Zeit hat. Ich möchte in der Zeit leben und nicht so tun, als sei sie mein Feind. Ich möchte mich nicht durch die Tage und Jahre und letztlich durch mein ganzes Leben hetzen lassen. Ich möchte spüren, wofür es gerade Zeit ist. Jetzt zum Beispiel, wenn das Wochenende beginnt, zum Atem holen und Ausruhen, vom „Sauseschritt" der vergangenen Tage.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15439
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