Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich bin seine verlorene Tochter gewesen, so hat mir die Frau erzählt.
Früh war sie ausgezogen. Damals kümmerte es sie wenig, dass ihr Vater sich Sorgen gemacht hat um sie. Aber sie hat sich immer erinnert, dass er ihr gesagt hatte: Du kannst jederzeit wieder nach Hause kommen. Du kannst immer zurückkommen.
Sie ist lange nicht zurückgekommen. Es ging ihr meist gut mit dem Abstand von zu Hause, von der Ordnung, die da herrschte und den Leuten, die da wohnten.
Aber wenn es mir schlecht ging, hat sie gesagt, dann dachte ich an seine Worte: du kannst immer nach Hause kommen. Egal wie. Die Tür ist offen.
Das hat sie durchhalten lassen. Sie wusste, wenn es nicht mehr geht, dann kann sie zurückkehren. Die Tür ist offen. Ihr Vater würde nicht fragen, er würde nichts sagen, ihr keine Vorwürfe machen.
Vor zwei Wochen hatten sie ihn nun beerdigt.
Lange war sie nicht zu Hause gewesen. Als es ihm schlecht ging, kam ein Anruf. Wenn sie ihn noch einmal sehen wollte, sollte sie schnell nach Hause kommen.
Und sie kam schnell.
Ich lebte mit der Vorstellung der offenen Tür, hat sie mir erzählt. Einen Ort haben, an den ich zurückkehren kann. Das habe ich mitgenommen von meinem Vater. Das ist mir geblieben und das will ich gerne an meine Kinder weitergeben. Du kannst immer nach Hause kommen.
Ich weiß nicht, ob sie die Geschichte vom verlorenen Sohn in der Bibel kennt.
Das war auch einer, der weggegangen ist von zu Hause. Der das sichere Dach über dem Kopf und das geregelte Leben eingetauscht hat gegen eine abenteuerliche Existenz. Als es ihm schlecht ging, dachte er an seinen Vater. Und weil er sich erinnerte, konnte er nach Hause zurückkehren. Ein Schimmer von der Güte seines Vaters war lebendig geblieben, das genügte um zurückzukommen.
Ich weiß: nicht jeder hat so einen Vater. Manche bekommen auch durch Nachbarn, eine Lehrerin, einen Freund, eine Oma die Botschaft von der offenen Tür mit auf den Weg. Sie hilft, das Leben durchzustehen, auch wenn es rau wird.
Das gilt übrigens nicht nur vom Ausziehen aus dem Elternhaus und Zurückkehren. Ich glaube: Das gilt auch für meine Beziehung zu Gott. Die ist auch so ein Haus, in das ich immer wieder zurückkommen kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15402
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