SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

Vertraut den neuen Wegen - ich habe dieses Lied kennen gelernt, als es mir eine Freundin vorgesungen und beigebracht hat, während einer Fahrt auf Kreta mit einem kleinen wackeligen Auto mit zweifelhaften Bremsen. Ich sehe noch die kurvige Strecke vor mir, die hohen Berge und die abschüssige Strecke, den weiten, blauen Himmel und das Mittelmeer, wie eine lebendige Illustration des Liedes, und weiß noch genau, wie mich das alles unmittelbar berührt hat. Als wir sicher an der Küste angekommen waren, gehörte dieses Lied zu meinem Leben.

Strophe 1

Vertraut den neuen Wegen: Klaus-Peter Hertzsch hat dieses Lied 1989 für sein Patenkind gedichtet, das in Eisenach Hochzeit feierte. Gäste haben das Lied mit nach Hause genommen und in ihren Gemeinden bekannt gemacht. In Windeseile verbreitete es sich in der DDR und in der Bundesrepublik. Ein Lied, gedichtet für einen privaten Anlass, trifft den Nerv der Zeit. Zugleich wird deutlich, dass unser privates Leben sich nicht abtrennen lässt von der Geschichte unserer Familien, unseres Landes, der Geschichte Gottes mit seinen Menschen. Regenbogen und der Atemhauch Gottes weisen auf die Schöpfung und ihre erste Bedrohung durch die Sintflut - das gelobte Land in die Gegenwart und Zukunft Gottes. Klaus-Peter Hertzsch ist es gelungen, diesen komplexen Beziehungsrahmen in drei Verse zu fassen, zudem noch in klarer Sprache und mit eingängigen Bildern. Das passt in den politischen Kontext und in den privaten, überall auf der Welt, sowohl in Eisenach als auch auf Kreta. Ein kleines Meisterstück!

Strophe 2

Die Hochzeit in Eisenach fand am 04. August 1989 statt, einen Monat später ließ Ungarn DDR-Bürger nach Österreich ausreisen, wieder einen Monat später trat Erich Honecker zurück und wieder einen Monat später fiel die Berliner Mauer. Das junge Eisenacher Ehepaar hatte Flitterwochen der besonderen Art. Begleitet wurde es von einem Lied, das in dieser aufregenden Zeit überall in der DDR in den Kirchengemeinden erklang und die Menschen ins Herz traf, weil es Mut machte, weil es prophetisch in Worte fasste und voraussah, was im August 89 noch niemand zu hoffen wagte: Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit!

Strophe 3

Letztlich ist damals alles gut gegangen. Politisch hätte es auch ganz anders laufen können, mit Verhaftungen, Verletzten und Toten. Die friedliche Revolution war nicht selbstverständlich. Ich bewundere alle, die „Vertraut den neuen Wegen" im Angesicht von schwerbewaffneten Polizeitruppen singen konnten. „Die Zukunft ist sein Land" - das ist auch ein trotziges Wort, gegen alle Diktatoren und Unterdrücker, die ein Land für sich beanspruchen, zur Not auch gegen die eigene Bevölkerung.
Ich hoffe einmal, dass es auch dem Brautpaar von damals heute, kurz vor der Silberhochzeit, gut geht und die beiden immer noch und gerne miteinander durchs Leben wandern und spüren, wo Gott sie will und braucht. Vielleicht sind sie ja gerade auf Kreta, entdecken zusammen einen Regenbogen und schauen sich dabei verliebt in die Augen! Doch selbst wenn sich Wege scheiden und man getrennt weiter zieht in der Zeit: Gott selbst kommt uns entgegen, die Zukunft ist sein Land!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15363
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