SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Tagtäglich werden wir Augenzeugen eines faszinierenden Geschehens. Einmal aufgebrochen ist die Natur nicht mehr zu halten. Es wächst und blüht an allen Ecken und Enden und endlich kann man wieder draußen sein und die Vielfalt der Farben und die frische Luft genießen. Das saftige und frische Grün ist voller Leben. Und jetzt spazieren gehen zu können tut meinem Leib genauso gut wie meiner Seele.

Mir kommt in diesen Tagen immer wieder ein Gedicht in den Sinn, das der Lyriker Reiner Kunze nach seiner Übersiedelung aus der damaligen DDR, in der ihm kappen und präzisen Form verfasst hat. Es trägt den Titel „Zuflucht noch hinter der Zuflucht". Kunze beschreibt darin seine neue Umgebung, einen alten Bauernhof, der ihm mittlerweile zur Heimat geworden ist. Einen Ort, wo er ganz sicher ist und nur der Wind ungebeten durchs Tor tritt und wo niemand anruft-schon gar nicht die alles überwachende Stasi Behörde. Nur Gott ruft ihn an, sagt der Dichter, und beschreibt wie Gottdurch den Regen viele und verschiedene Leitungen legt, um mit dem Menschen ins Gespräch zu kommen."Was machst du, fragt Gott"  und unbeholfen und unsicher sagt der Angesprochene:"es regnet, was soll man tun". Und was antwortet darauf Gott? Reiner Kunze  beschreibt es so:"Und seine Antwort wächst grün durch alle Fenster."

Kunze sieht nicht nur die äußeren Vorgänge der Natur. Er sieht in ihnen eine Tiefe und Weite, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen ist. Die Natur ist  für ihn mehr als nur eine Tatsache, ein Faktum. Sie ist eine Botschaft an  den Menschen und erzählt von einer wunderbaren Kraft, die alles geschaffen hat und alles in Bewegung hält. So wird nicht nur der urige und heimelige Bauernhof dem Dichter zur Zuflucht. Hinter dieser Zuflucht findet er noch eine weitere-so dann auch der Titel seines Gedichtes-eine Zuflucht, in der er geschützt und aufgehoben ist, die auch noch seine Unbeholfenheit und Hilflosigkeit und alle Verdrießlichkeit auffängt.

Ich finde es beeindruckend mit wie wenigen Worten in diesem Gedicht behutsam und sensibel von Gott geredet wird. Kunze muss nichts beweisen und demonstrieren: Er sprich von etwas ganz Alltäglichem. Aber gerade darin sieht er das Besondere. Vielleicht   hat  ihm  gerade die Stille und  die Zurückgezogenheit  geholfen, in den Prozessen  der Natur, den Initiator des Ganzen  und den Schöpfer von Allem zu entdecken. Kunze hat jedenfalls eine entscheidende Erfahrung gemacht: Die Antwort wächst grün durch alle Fenster.

Musik

Wenn ich wissen und erfahren will wie die Welt entstanden ist und wie die Gesetze der Natur funktionieren, wenn ich die Zusammenhänge und physikalischen und chemischen Bedingungen verstehen will, wenn ich kleinste Elementarteilchen und Atome entdecken will, werde ich nicht bei einem Dichter nachfragen sondern bei den Wissenschaften ,die dafür zuständig und kompetent sind.

Ich werde auch nicht die Bibel befragen, weil sie keine Antworten auf die naturwissenschaftlichen Fragen gibt. Die Antworten der Bibel sind anderer Art. Zum Beispiel der Schöpfungsbericht der Bibel mit seinem sieben Tage Schema. Das ist keine Reportage im modernen Sinn, eine Bericht oder eine Dokumentation. Das ist eher ein Lied, ein begeistertes Lied, in dem der Schöpfer besungen wird. Hinter allem, was es gibt-so die zentrale Botschaft dieses wunderbar poetischen Textes-,hinter allem steht nicht eine anonyme Zufälligkeit sondern das schöpferische Handeln Gottes, der sogar ein Liebhaber des Lebens genannt wird.

Der biblische Mensch ist so gesehen im besten Sinn ein Hinter- Weltler. Nicht weil er dumm und unaufgeklärt  wäre, bar jeglicher Einsicht. Und ohne kritischen Verstand. Er  kommt dahinter, dass alles eine Ursache und einen Anfang haben und dass es für alles einen Grund geben muss. Das ist  für mich nicht unsinnig sondern zutiefst hinter-sinnig. Weil selbst hinter dem Urknall oder wie auch immer der Anfang von allem erklärt wird, nochmals nach dessen Ursache gefragt werden muss.

Mich berührt es, dass auch namhafte Naturwissenschaftler bei allem Fragen Forschen und Entdecken immer wieder ins Stauen geraten und von der Großartigkeit der Schöpfung fasziniert und ergriffen sind. Sie haben keine Schwierigkeit einerseits ihren Forschungsergebnissen zu trauen und andererseits  oft einfach zu verstummen oder sogar zu beten.

Die Bibel ist voll solcher staunenden Ergriffenheit. Z.B wenn es im Psalm 104 heißt: „Herr wie zahlreich sind deine Werke, mit Weisheit hast du sie alle gemacht. Die Erde ist voll von deinen Geschöpfen."Oder an einer anderen Stelle:"Du lässt Gras wachsen für das Vieh, auch Pflanzen für die Menschen, die er anbaut, damit er Brot gewinnt von der Erde und Wein, der das Herz des Menschen erfreut". Schöpfung ist nicht ein längst zurückliegendes Geschehen, es ist jetzt und jeden Augenblick, weil der Atem Gottes, weil der schöpferischer und Heilige Geist alles belebt und bewegt. Wer der Heilige Geist ist- fragen sie jetzt vielleicht..Ich halte es mit dem Dichter und meine: die Antwort wächst grün durch alle Fenster.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15291
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