SWR1 3vor8

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Einigkeit macht stark, sagt man. Wenn ein kleines Mädchen seine großen Brüder holt, dann muss sie keine Angst mehr haben vor dem großen Hund oder dem frechen Nachbarsjungen. Einigkeit macht stark.
Jesus geht sogar noch weiter. Der hat gesagt: Einigkeit überzeugt. Er hat gebetet: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast." (Joh 17, 21) In den evangelischen Gottesdiensten heute zum Himmelfahrtstag wird daran erinnert. Wenn Jesus selbst nicht mehr da ist, dann müssen wenigstens seine Nachfolger, die Christen, einig sein und zusammenhalten. Nur dann nimmt man ihnen vielleicht ab, dass Gott die Liebe ist.
Zusammenhalten, ja. Das leuchtet mir ein. Aber hat Jesus das gewollt, dass die Christen einig sind und deshalb dann auch stark? Hat er gemeint, wir Christen dürften keinen Streit haben und keine Unterschiede in der Art und Weise, wie wir leben? Alle und überall auf der Welt das Gleiche?
Meine Erfahrung sagt mir: Das kann nicht sein. Solche Einigkeit ist steril. Da kann nichts Neues  wachsen. Und sie ist abweisend. Da haben die keine Chance, die anders sind. Da muss man fest stehen bleiben auf einem Standpunkt. Denn wenn sich einer bewegt oder eine Gruppe - schon ist es vorbei mit der Einigkeit.
Die Zeit aber wandelt sich und ändert sich. Dann braucht der Glaube neue Antworten für neue Situationen. Die muss man erst einmal finden. Das kann nicht gehen ohne Diskussion und Kontroversen. Tragfähige Lösungen findet man im Gespräch, nicht per Anordnung - in der Familie genauso wie im Miteinander in Dorf oder Stadt. Und genauso unter den Christen. Manchmal dauert es lange, bis man eine Lösung findet. Und manchmal ist die Lösung, die für die einen richtig ist, für die anderen falsch. Wie man Gottesdienst feiert, ist in Afrika anders als in Skandinavien, Kinder erzieht man in Italien anders als in Deutschland.
Aber müssen Christen denn in allem einig sein, wenn sie überzeugend sein wollen? Ich glaube nicht. Ich glaube auch nicht, dass Jesus das gemeint hat. Wenn ich genau lese, dann hat er gesagt: „Wie du, Vater in mir bis und ich in dir, sollen auch die Christen in uns sein". Darauf kommt es an - dass alle Christen auf denselben Gott vertrauen, der sich in Jesus Christus gezeigt hat. Das macht ihre Einheit aus. Nicht, dass wir in allen möglichen Fragen dieselbe Meinung haben. Ich glaube: So kann man miteinander leben, jeder auf seine Weise. Und im Zweifelsfall sind die anderen da. Wie die großen Brüder für ein kleines Mädchen. Ich finde, das macht stark.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15270
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