Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Selten hat mich die Begegnung mit einem Menschen mehr beeindruckt. Ich habe ihn auf einer Studienreise nach Israel kennen gelernt.
Jehuda Bacon lebt in Jerusalem. Er ist Jude und 83 Jahre alt.
Als 13 jähriger musste er mit seiner Familie sein Zuhause verlassen und dann 3 Jahre in deutschen Konzentrationslagern verbringen - ständig mit dem Tod vor Augen. Seinen Vater hat er in die Gaskammer gehen sehen. Minutiös erzählt er von den Grausamkeiten, die ich nur von Bildern und aus Beschreibungen kenne. Jehuda Bacon erinnert sich an alles, was er erlebt hat und spricht darüber. Ohne Bitterkeit, ohne Vorwürfe, ohne Hass.

Wie kann sich ein Mensch mit solch einer Geschichte versöhnen?
Er habe trotz allem Glück gehabt, sagt er selbst. Nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen sei er zusammen mit seinem Freund in die richtige Richtung gelaufen. Er bekam zu essen, wurde versorgt und gepflegt. Und man brachte ihn in ein Heim für Jugendliche. Der Heimleiter war ein katholischer Priester. Er kümmerte sich um Opfer und Feinde, um überlebende Juden ebenso wie um deutsche Jugendliche, die ehemals zur Hitler-Jugend gehörten. In diesem Heim gab es keine Opfer und Feinde mehr. Nur Jugendliche, die ihre Heimat verloren hatten und ihre Eltern. Sie alle hatten etwas gemeinsam. Jehuda Bacon erzählt, dass er bis heute deutsche Freunde hat aus dieser Zeit. Und er sagt: Diesem Heimleiter verdanke ich viel. Allein durch seine Liebe habe ich allmählich das Vertrauen in die Menschen zurückgewonnen. 

Damals hat Jehuda Bacon begriffen: Unrecht geschieht immer an Menschen. Aus dieser Zeit weiß er auch: Hass bringt uns nicht vorwärts und gibt auch keinen Sinn im Leben. Auf die Frage, ob Leiden einen Sinn hat, antwortet er: In meinem Fall ja. Das Leiden kann einen Sinn haben, wenn es einen so tief erschüttert, dass es bis an die Wurzeln des eigenen Seins geht. Dabei kann man unter Umständen entdecken, dass es dem Menschen neben mir so geht, wie mir selbst. Diese Erfahrung hat einen Sinn, weil sie beeinflusst, wie ich weiterlebe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15170
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