Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Wenn man etwas nicht vergessen kann, dann ist umso wichtiger: vergeben. Sonst wird es gnadenlos zwischen uns. Das war früher schon so, aber in Zeiten des Internets wird es brisanter.
Das Internet ist prima, aber manchmal auch gnadenlos. Es vergisst kaum etwas. Man findet alles. Über jeden und jede. Was ein Prominenter gesagt hat, mit 20, vor 40 Jahren, es ist natürlich drin und präsent, als wäre es heute passiert. Man kann Menschen festnageln auf ihre Vergangenheit. Und die bestimmt dann alles, Gegenwart und Zukunft. Jugendsünden sind keine Jugendsünden mehr, sondern Sünden für immer. Wer sie begangen hat, ist und bleibt Sünder. In Internetforen wird viel nachgetragen. Vergeben ist nicht. So wird das Leben gnadenlos. Wobei eigentlich ist ja nicht das Internet gnadenlos.
Es sind Menschen, die nicht vergeben und das Leben hart und gnadenlos machen. Und hart wird es für, wenn man nicht vergeben bekommt.
Wie hart, kann man in Regionen sehen, in denen noch Blutrache geübt wird.
Da haben sich schon ganze Familien gegenseitig ausgerottet, weil keiner anfangen konnte, zu vergeben. Eine Tat, die aus einer Familie der anderen angetan wird, wirkt immer weiter. Und fordert Opfer. Nur Gnade kann da Einhalt gebieten. Vergeben.
Aber auch ohne Blutrache kann die Vergangenheit ein Tyrann sein. Darum ist vergeben so wichtig. Wenn wir nicht gnadenlos leben wollen. Und kann das jemand wollen?
Wenn man vergibt, was einem ein anderer angetan hat, womit er einen verletzt hat, dann verliert die alte Tat ihre Macht über beide. Wenn man vergibt, können beide wieder neu auf einander zugehen. Dann müssen sich z. B. Geschwister nicht mehr aus dem Weg gehen. Können neu miteinander anfangen.
Wenn man vergibt, wird das, was geschehen ist, nicht ungeschehen. Man kann es nicht aus der Welt schaffen. Aber es kann aufhören, dass es böse weiterwirkt.
Es kann etwas Neues und Gutes anfangen. Für beide Seiten. Für den der verletzt hat und der verletzt worden ist. Vergeben schafft dem Leben neuen Atem. (Petra Bahr)
Und wie geht vergeben im Internetzeit? Wenn es doch nichts vergisst? Ich glaube, es gibt Dinge, die müssen wir als verjährt ansehen. Jugendsünden einer 40-jährigen sollten heute keine Rolle mehr spielen. Schon gar nicht, wenn sich jemand davon distanziert hat. Und wenn sie doch jemand ausgräbt und mit der Vergangenheit tyrannisiert. Dann ist die Netzgemeinde gefordert und muss das „Datenmissbrauch" nennen. Wenn man etwas nicht vergessen kann, dann ist umso wichtiger: vergeben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15133
weiterlesen...