Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wie bei den Zugvögeln lockt uns der Wandertrieb im Frühjahr hinaus in die Ferne. Das weiß die Tourismus-Branche zu nutzen. Warum nicht für ein paar Tage im komfortablen Reisebus nach Südtirol, in die Toskana oder an die Nordsee? Und das alles für ein paar müde Euro, „all inclusive" versteht sich. Auch mit den neuen Fernbus-Linien fährt man nun billig und bequem in ferne Städte. 

Wer da zusteigt, sollte die Fahrerinnen und Fahrer vorn am Steuer nicht aus dem Auge verlieren. Die meisten von ihnen sind mit Begeisterung dabei. Das hat was, so ein Ungetüm mit bis zu 60 Passagieren sicher über Land zu kutschieren, es im Stadtverkehr durch enge Straßen und zentimetergenau an Hindernissen vorbei zu bugsieren. Ich bewundere diese Steuerleute. 

Ihnen wird aber auch viel zugemutet. Ein Reisebus-Chauffeur berichtet: „Ich bin Fahrer, Fremdenführer, Alleinunterhalter, Quartiermeister, Klo-Mann, Bar-Keeper, manchmal sogar Streitschlichter, einfach Mädchen für alles". Im Reiseverkehr lebt er wochenlang von seiner Familie getrennt. Die überwiegend sitzende Tätigkeit ist alles andere als gesund, und dazu der Stress auf überfüllten Straßen. Der Verkehr erfordert höchste Konzentration, die Verantwortung für so viele Menschen wiegt schwer. Unterwegs erwartet die Reisegesellschaft aber auch wichtige Hinweise und Erklärungen zu Land und Leuten. Professionelle Reise-Begleiter hat man ja längst weggespart. Am Zielort angekommen: Klappt alles mit dem Hotel, sind die Leute mit der Unterkunft und Verpflegung zufrieden? Die liebenswürdige Kundschaft der Nörgler und der ewig Unzufriedenen nervt bis zum Überdruss. Das will ausgehalten sein. 

Gewiss - die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten werden weitgehend eingehalten. Aber wie steht es generell mit der Arbeitszeit und vor allem mit der Bezahlung? Tarifgebundene Unternehmen werden von den Billig-Kutschern gegen die Wand gedrückt. Ein höllischer Preiskrieg wird auch in der Reise-Branche auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Für neun Euro von Stuttgart nach Berlin - ob das noch mit rechten Dingen zugeht? 

Mindestens so sehr wie über das Trinkgeld am Ende einer Fahrt freuen sich die Steuerleute über ein Wort der Wertschätzung ihrer Arbeit, über Respekt und ein wenig Dankbarkeit. Das regelt kein Tarifvertrag, sondern müsste eigentlich selbstverständlich sein.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15075
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