Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Vor knapp einem Jahr ist in Israel zum ersten Mal die "Miss Holocaust-Überlebende" gekürt worden. Die Teilnehmerinnen waren bis zu 97 Jahre alt. Sie alle haben die Gräueltaten der Nazis überlebt. Fast 300 Frauen haben sich beworben, 14 sind in die Endrunde gekommen.
Natürlich ist diese merkwürdige Miss-Wahl auch auf Kritik gestoßen. „Makaber", sei diese Veranstaltung. Es sei eine Feier des Lebens, argumentieren die Veranstalter.
Zuerst sind die Teilnehmerinnen über einen roten Teppich geschritten, danach haben sie von ihren Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg erzählt: „Ich habe das Privileg, zeigen zu können, dass wir leben, obwohl Hitler uns auslöschen wollte", betont die 74-Jährige Esther Libber. Als Kind in Polen hat sie ihre ganze Familie verloren. Sie selbst ist von einer polnischen Frau gerettet worden. Und die 78jährige Rumänin Hava Herschovitz ergänzt: "Wir sind alles Überlebende. Und wir nehmen teil, um zu zeigen, dass wir noch da sind."
„Gegen das Vergessen" - könnte man als Motto über diese merkwürdige Misswahl setzen. Vielleicht ist es gut, immer wieder auch mit ungewöhnlichen Veranstaltungen an die großen Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu erinnern. Ich denke, nur so werden wir nicht vergessen, welches Unrecht bis heute an Menschen auf dieser Welt begangen wird.
Mir scheint das wichtiger denn je: Denn 21 Prozent der 18- bis 30jährigen Deutschen wissen nicht, was Auschwitz ist, das größte Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis. Und das, obwohl alle als Jugendliche in der Schule mehrfach das Thema Nationalsozialismus durchgenommen haben.
In 10, 20 oder 30 Jahren ist niemand von den Frauen mehr unter uns, die jetzt an dieser Misswahl teilgenommen haben. In 10, 20 oder 30 Jahren sind alle Holocaustüberlebenden gestorben.
Ich finde: es eine wichtige Aufgabe, die Erinnerung an sie und ihr Leiden aufrechtzuhalten, an sie und an alle Menschen, die in ihrem Leben Unrecht erleiden mussten.
Denn ich bin überzeugt: die Erinnerung an die großen Gräueltaten der Menschheitsgeschichte macht uns aufmerksamer für die Unrechtstaten, die auch heute in vielen Diktaturen auf dieser Welt begangen werden. Und vielleicht schärft das unseren Blick auch für das viele kleine Unrecht, das auch bei uns tagtäglich Menschen erdulden müssen.
„Gedenkt der vergangenen Zeiten", heißt es in der Bibel - nur so bleiben wir aufmerksam. Und nur dann können wir unsere Stimme erheben gegen Verbrechen, die an Menschen begangen werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15062
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