Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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In der Woche vor Ostern erinnern wir Christen uns an den Prozess und die Hinrichtung von Jesus. Natürlich, das ist alles schon sehr lange her. Aber die Menschen, die damals beteiligt waren - die Menschen waren nicht anders als wir es heute sind. Man kann sich in ihnen wieder erkennen, wie in einem Spiegel. Und manchmal hilft es, in den Spiegel zu schauen. Dann kann man doch immerhin manches zurechtrücken, was nicht in Ordnung ist.
Pontius Pilatus zum Beispiel, der römische Statthalter, der Jesus am Ende zum Tode verurteilt hat. Den habe ich mir lange Zeit als harten, grausamen, Gewaltherrscher vorgestellt. War er vielleicht auch. Irgendwann später ist er wegen Grausamkeit des Amtes enthoben worden.
Aber wenn ich höre, was die Bibel von ihm erzählt, dann finde ich: Eigentlich war dieser Pilatus ein Weichei. Vielleicht war seine Grausamkeit nur die Fassade, mit der er sich schützen wollte? Eigentlich war er einer, der nicht Nein sagen konnte. Ein Machtwort zu sprechen und Basta zu sagen, das war anscheinend nicht seine Sache.
Eigentlich wollte er Jesus wohl nicht hinrichten lassen. Er hat gar nicht so richtig verstanden, was sie ihm vorgeworfen haben. Aber Nein sagen konnte er nicht. Er hat deshalb alle möglichen Ausflüchte gesucht, damit es nicht zum Äußersten kommt. Die Macht hätte er wohl gehabt, Jesus freizulassen. Aber er konnte sie nicht durchsetzen gegen die aufgebrachte Mehrheit. Er knickt ein. Macht was ihr wollt, sagt er und wäscht seine Hände buchstäblich in Unschuld. Ich tue, was ihr verlangt. Ihr habt die Mehrheit.
Aber, zeigt seine Geschichte: Die Mehrheit hat nicht immer recht. Auch nicht, wenn sie viele sind. Es hätte einen gebraucht, der Nein sagt. Ihn. Einen, der den Leuten vor Augen hält, was sie da tun wollen. Vielleicht wären sie dann zur Vernunft gekommen.
Pilatus konnte das nicht. Er war zu schwach. Er wollte das vielleicht nicht, was dann passiert. Aber er hat es geschehen lassen. Es geschieht viel Unrecht, weil keiner rechtzeitig Nein sagt. Es passieren schlimme Dinge, weil keiner Schwierigkeiten haben will. So wie Pilatus, das Weichei. Der hat auch befürchtet, dass er Schwierigkeiten kriegen würde.
Pilatus hat versucht, seine Verantwortung abzuwaschen, damit man es ihm nicht vorwerfen kann. Aber das ist ihm nicht gelungen. Im christlichen Glaubensbekenntnis sagen wir: „gelitten unter Pontius Pilatus" und erinnern uns Sonntag für Sonntag: Unter solchen wie Pilatus leiden Menschen bis heute. Und ich fürchte: Manchmal bin ich auch so ein Weichei.

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