Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen." (Mt 25, 35) Auf den ersten Blick scheint das ganz selbstverständlich - Jesus hat diese und andere Selbstverständlichkeiten aufgezählt und dazu gesagt: Wer das macht, der nimmt mich auf. Für uns Christen heißt das: Wer so selbstverständlich barmherzig ist, der nimmt Gott selbst bei sich auf.
Ich denke an meinen Sohn. Der war 10 Monate lang in Südamerika unterwegs mit dem Fahrrad. Er hat erzählt, wie er bei Schneegestöber in der Hütte einer Indio-Familie seine Isomatte ausrollen durfte. Es ist großartig, wenn Menschen so miteinander umgehen. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich so einen durchnässten und durchgefrorenen fremden Radfahrer und seine Freundin in meine Wohnung gelassen hätte. Obwohl: Jetzt vielleicht schon, wo ich die Geschichte von meinem Sohn gehört habe.
Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Leider ist das eben doch nicht so selbstverständlich. Für mich auch nicht. Und erst recht nicht, wenn es nicht bloß um einen einzelnen Fremden geht, sondern um die Fremden, die Schutz suchen und Wohnung und Arbeit, weil sie da nicht bleiben konnten, wo sie zu Hause waren.
Daran erinnern heute Abend christliche Frauen auf der ganzen Welt. Heute Weltgebetstag. Da erinnern Frauen sich und andere daran, wie es vielen Fremden leider auch geht, leider auch in unserem Land. Sie finden keine Arbeit, weil sie anders aussehen. Man begegnet ihrem Glauben mit Misstrauen. Schüler und Schülerinnen werden entmutigt, weil sie erleben, dass man ihnen keine Chance gibt. Warum sollen sie sich dann noch anstrengen?
Aber wir können uns doch nicht um das Elend der ganzen Welt kümmern, sagen viele. Und das können Sie und ich gewiss nicht. Aber die Politik, die steht da in der Pflicht, finde ich. Und ich glaube, man könnte viel tun, damit die Notleidenden der Welt gar nicht erst ihre Heimat verlassen müssen - wenn man das wirklich will.
Vielleicht werden wir auch bloß ausgenutzt von Menschen, die auf unsere Kosten leben wollen, sagen andere. Und natürlich gibt es solche unter den Fremden bei uns. Aber die meisten sind nicht so. Bloß: das merkt man erst, wenn man sich kennen lernt. Ich kenne einen Mann, der hat eine Patenschaft übernommen für einen Jungen aus Algerien. Manchmal geht er mit ihm zum Fußball. Und er hat ihm geholfen, eine Lehrstelle zu finden. So kann man erfahren, wie sie wirklich sind, die Fremden.
Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich glaube, dieser Weltgebetstag der Frauen heute Abend ist eine Protestabend. Weil nicht selbstverständlich ist, was selbstverständlich sein sollte. Bestimmt findet auch in Ihrem Ort einer statt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14811
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