Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Was hindert einen Menschen im Leben voran zu kommen? Ich denke, es sind nicht immer die anderen, die einem den Weg versperren. Viel öfter steht man sich selbst im Weg.
Ich denke da an manche Sportler, die als Riesentalent gelten, denen aber eine Verletzung nach der anderen den Weg an die Spitze versperrt. Bei anderen Menschen ist es nicht der verletzungsanfällige Körper, sondern da sind es andere Eigenschaften, die sie hindern, ihre Ziele zu erreichen: Wenn ich schüchtern bin und ich mich deshalb nicht traue, etwas zu sagen oder zu tun, obwohl ich eigentlich könnte, dann stehe ich mir auch selbst im Weg. Manche haben Defizite, die vor langer Zeit entstanden sind. Wenn etwa jemand als Kind nicht erlebt hat, dass er geliebt wird, dann wird es ihm womöglich auch später schwer fallen, zuversichtlich zu leben.
Da liegt es nahe, dass man sich solche Defizite und Verletzungen einfach wegwünscht. Aber erstens geht das natürlich nicht. Und zweitens gehören all die Dinge ja auch zu mir. Ohne sie wäre ich ja gar nicht der, der ich bin. Wenn ich eine andere Kindheit erlebt, andere Eltern gehabt hätte oder unter anderen Umständen aufgewachsen wäre, dann wäre ich ein ganz anderer Mensch. Nicht mehr ich, sondern ein anderer. Oder wenn mir diese oder jene Eigenschaft fehlen würde, wäre ich dann wirklich noch ich?
Ich denke es gibt zwei Möglichkeiten, wie man mit den Defiziten umgehen kann, mit denen man sich selbst im Weg steht. Entweder man ärgert sich darüber, verzweifelt im schlimmsten Fall vielleicht sogar. Oder man nimmt sie an und akzeptiert, dass sie zu einem gehören.
„Wer mit mir auf dem Weg sein will", hat Jesus einmal gesagt, „der muss zuerst sein Kreuz auf sich nehmen, erst dann kann er mir nachfolgen" (Matthäus 16,24). Ich denke, das Kreuz, von dem Jesus redet, das sind genau die Dinge, mit denen sich Menschen selbst den Lebensweg versperren. Solange sie vor einem stehen, blockieren sie den Weg, aber wenn ich sie annehme, akzeptiere, dass sie zu mir gehören, wenn ich sie mir also quasi auf den Rücken packe, dann ist der Weg frei. Ich muss sie dann zwar auch tragen und mit ihnen klar kommen. Aber ich komme weiter. Und wenn ich sie erst mal in der Hand habe und sie nicht mehr von mir weg halte, dann kann ich an ihnen arbeiten und vielleicht sogar etwas ändern.
Und nicht nur für mich, sondern auch für andere kann sich dann etwas ändern. Ich habe das jedenfalls schon erlebt: Menschen, die ihre eigenen Schwächen annehmen, können auch verständnisvoller und gnädiger mit ihren Mitmenschen umgehen und mit deren Schwächen.

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