Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Die Gruppe war eigentlich harmonisch. Für eine Fortbildung hatten sich Männer und Frauen angemeldet. Unterschiedlich alt, unterschiedlich vorgebildet. Alle hatten ähnliche Fragen, ähnliche Interessen. Es herrschte sofort ein guter Umgang. Alle waren aufmerksam füreinander, sie ließen sich gegenseitig ausreden, gingen liebevoll und unterstützend miteinander um. Schnell hatte sich ein Gruppengefühl, ein "Wir" entwickelt.
Nur eine Person fiel von Anfang an etwas aus dem Rahmen. "Ich nehme nicht wegen der Gruppe an diesem Kurs teil," stellte sie immer wieder klar, "sondern damit ich etwas für mich lerne." Das löste Irritationen aus. Aber sie wurde mitgetragen, aufgefangen, trotz ihrer Anspruchshaltung, trotz ihrer Außenseiterposition. Diese Person hat hohe Aufmerksamkeit bekommen, vom Leiter und von der Gruppe. Diese Person forderte für sich immer wieder eine Sonderbehandlung, hat sich bei Übungen herausgenommen, länger geredet als andere, immer wieder Fragen gestellt, die nur sie selbst interessierte, ohne Rücksicht auf die anderen. Manche Gruppenmitglieder fingen an, die Augen zu verdrehen, wenn sie wieder eine solche Frage stellte. Das war ein Alarmsignal. Einzelgespräche unter vier Augen in den Pausen waren vergeblich. Die unangenehme Situation wurde in der Gruppe angesprochen, es wurde gefragt, wie wir als Gruppe damit umgehen wollen. Verschiedene Lösungen wurden probiert. Alle waren sehr tolerant, aber die Gruppenatmosphäre war immer wieder kurz vor dem Kippen. Besagte Person war für die Gruppe eine echte Herausforderung. Ist das Mobbing, was hier geschieht, dass eine Person so unbeliebt wird, dass die anderen anfangen, sie zu meiden? Es kam, wie es kommen musste, es eskalierte. Ja-aber-Diskussionen, Vorwürfe, Widerstand, Opposition. Die Person ging in Konkurrenz zur Leitung, die Atmosphäre ging in den Keller. Eine Entscheidung stand an, entweder sich in die Gruppe einzuordnen, oder zu gehen. "Dann geh ich" war die Reaktion. Alle waren betroffen aber dankbar für die klare Entscheidung. Es war kein Rauswurf sondern sie verabschiedete sich selbst. Der Abschied war so wertschätzend wie möglich, nicht im Groll. Die Gruppe atmete auf. Die Schwere im Raum vorher war jetzt noch deutlicher spürbar. Die Atmosphäre wurde leichter, beweglicher. Es war ein wertschätzender Abschied.
Leider ist das nicht immer so. Abschiede finden oft im Streit statt, lieblos, mit Vorwürfen und verbunden mit negativen Emotionen. Sich trennen bedeutet für viele scheitern. Es gehört sich nicht auseinanderzugehen. Es gilt als moralisch verwerflich. Eine Moral aber, die unerträgliche Konstellationen aufrechterhält, macht krank. Ich musste im Laufe meines Lebens erst mühsam lernen, dass sich trennen auch eine Form von Liebe sein kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14497
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