Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Minne" - Minne war im Mittelalter ein Wort für „liebevolle Zuneigung". Heute ist in der katholischen Kirche der „Gedenktag des Apostels Johannes". Der Tradition nach ist es der Johannes, von dem es im Evangelium heißt: „Es war der, den Jesus liebte" (Johannes 13,23). Die christliche Kunst hat dieses Thema aufgegriffen und die so genannte „Johannes-Minne" geschaffen.
Johannes sitzt neben Jesus, den Kopf an die Brust des Herrn gelehnt. Jesus hat den Arm um den Jünger gelegt. Jesus ist hellwach, der Jünger schläft. Damit ist eine Gelassenheit angedeutet, wie sie vielleicht nur dem Glauben eigen ist. Ich kann vertrauen und bin getrost, Gott wacht über mir, er schaut nach mir. Er ist hell-wach für meine Freuden und Hoffnungen, für meine Sorgen und Ängste.

Man könnte das auch so deuten: Gott hat ein Herz, das für den Menschen schlägt. Ein Herz, das groß genug ist, um dem Menschen Platz zu bieten, ihm Geborgenheit und Frieden zu schenken. Gott hat ein großes Herz, an das sich der Mensch, mit seinem kleinen Herzen getrost anlehnen darf. Ein Bild von Innigkeit und Zärtlichkeit. 
Ein Bild, das auch sehr eindrucksvoll die christliche Berufung deutlich macht. Im Neuen Testament steht: „Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns zuerst geliebt hat." (1 Johannes 4,10) 

Ein weiterer Gedanke liegt nahe: Jesus hat eine Hand auf die Schulter des Johannes gelegt, mit der anderen hält er den Johannes. Das sieht aus, als hätte der Künstler dieses Wort aus dem Alten Testament im Blick gehabt: „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich." (Psalm 139,5) - Menschliches Leben ist geborgen im göttlichen Leben.  

Ein letzter Gedanke zur „Johannes-Minne": Ein Fuß des Jüngers ist verdeckt, gleichsam ersetzt durch den Fuß Jesu. - Wir meinen oft, nur auf eigenen Füßen stehen, allein mit dem Leben fertig werden zu können. Ich finde es gut zu wissen, dass ich mindestens mit einem Fuß bei ihm Fuß fassen kann; dass ich gehalten bin und er mit mir geht.  

Übrigens: Die etwa fünfzehn noch erhaltenen Darstellungen der „Johannes-Minne" sind bis auf eine in Museen abgewandert. Diese eine ist noch an ihrem ursprünglichen Ort: im oberschwäbischen Heiligkreuztal bei Riedlingen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14397
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