Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Samstag Morgen um elf in der Fußgängerzone, ein dichtes Gewusel. Es ist November, und die ersten Glühweinstände sollen schon mal das Weihnachtsgeschäft in Gang bringen. Mitten drin ein kleiner Tisch, auf dem Bücher und Hefte liegen, dahinter zwei Frauen. Die eine hält vor sich ein Heft. Darauf steht das Thema der November-Ausgabe: Was würden Sie Gott gern fragen?

Im Vorbeigehen lese ich diese Frage, eigentlich habe ich im Moment keine Zeit und ehrlich gesagt auch keine Lust, mich auf ein Gespräch einzulassen. Aber es ist schon zu spät. Ich habe einen Moment gezögert und die Frau sieht mir an, dass die Frage auch bei mir andockt. Sie spricht mich an, ich sage, dass ich auf dem Sprung bin. „Nur ganz kurz", sagt sie, „ich will Sie nicht aufhalten, aber vielleicht können Sie mir sagen, was Sie Gott denn gern fragen würden, es würde mich wirklich interessieren."

Ich denke kurz nach. Es gibt viele Fragen, die ich nicht lösen kann und die mich trotzdem nicht loslassen. Aber ich soll mich ja auf eine, die wichtigste, beschränken. Wenn sie mich ein paar Tage vorher gefragt hätte, dann hätte vielleicht etwas ganz anderes gesagt, aber an diesem Tag sage ich spontan: „Ich muss am Montag eine Entscheidung treffen, und ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, was das Richtige ist. Und ich wäre froh, wenn ich ihn das jetzt tatsächlich fragen könnte." - „Aber das können Sie doch", sagt die Frau, „warum tun Sie es nicht einfach?"Eigentlich hat sie ja Recht, denke ich, aber meine Erfahrung sagt mir auch, dass dieses einfache Mittel  leider nicht immer so glatt funktioniert. Ich werde ein bisschen unruhig, weil ich verabredet bin und deshalb weiter muss. Sie sagt nur noch: „Ich bete für Sie." Und ich: „Danke, das kann ich brauchen."

Ich bin sicher, sie hat es auch getan. Das ganze Wochenende über fällt mir immer wieder ein, dass mich diese fremde Frau unterstützt, weil sie vor Gott an mich denkt und an meine Situation, die sie gar nicht kennt.

Am Montag habe ich die Entscheidung dann getroffen. Ich weiß immer noch nicht, ob es die richtige war. Aber es war eine gute Erfahrung zu wissen, dass jemand für mich betet. Und noch etwas hat mit gut getan: Ich habe erlebt, wie Menschen, die sich als Christen verstehen, miteinander umgehen können, auch wenn sie zu ganz unterschiedlichen Gemeinschaften gehören. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14298
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