Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Pflicht und Kür. Bei manchen Sportarten, zum Beispiel beim Eiskunstlauf, besteht der Wettbewerb aus zwei Teilen. Im ersten Teil müssen alle dieselben Figuren und Sprünge tanzen, und die Preisrichter können dann vergleichen, bei wem der doppelte Rittberger am perfektesten gelungen ist. Hier zählt der Schwierigkeitsgrad und die technische Perfektion des Sprungs. Dieser Teil ist die so genannte Pflicht.

Dann kommt der zweite Teil, die Kür. Da geht es auch um die Person, darum, wie die sportliche und künstlerische Leistung zu dem Menschen passt, der sie erbringt. Was strahlt die Person aus? Ist sie mit Leidenschaft dabei oder nur mit dem Ehrgeiz zu gewinnen? 
Nicht nur Sportler kennen die Pflicht und die Kür. Das ganze Leben besteht aus Aufgaben, die man danach sortieren kann, ob sie zum einen oder zum anderen gehören. Das Alltägliche erleben die meisten als Pflicht. Aufgaben müssen eben erledigt werden, ob mit Lust oder ohne. 

Es fängt früh an mit der Pflicht. Aber auch mit der Kür. Schon bei kleinen Kindern zeigt sich, was sie gern machen und gut können. Und wenn das gefördert wird, kann ein Kind zeigen, was in ihm steckt und stolz auf sich sein. 

Mir ist aufgefallen, dass es auch im religiösen Leben eine solche Unterscheidung gibt. Die Pflicht, die für alle verbindlich ist, das sind die Zehn Gebote. Nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, sich und anderen nicht schaden, das gilt für alle. Aber manche wollen mehr und können mehr. Ihnen sind die Seligpreisungen im Matthäusevangelium gesagt, und die klingen ganz anders, sie schreiben nichts vor, sie laden ein: Wenn ihr ein Talent habt, Konflikte zu lösen, dann tut das auch. Denn selig sind die, die Frieden stiften. Wenn ihr euch in die Not anderer hineinversetzen könnt, dann helft ihnen auch. Denn selig sind die Barmherzigen. 

So wie es eine sportliche oder eine naturwissenschaftliche Begabung gibt, so gibt es vielleicht auch eine religiöse oder eine ethische Begabung. Und wenn man die entdeckt und fördert, dann kann man sich als Person entfalten, weil man das findet, was zu einem passt. Die Seligpreisungen Jesu, sie sind vielleicht so etwas wie die Einladung zur Kür. Und da geht es um das Ganze, um die Ausstrahlung der Person und um die Leidenschaft für die Sache.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14294
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