Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Sie ist eine kleine große Frau, meine Freundin Maria. Klein von körperlichem Wuchs aber groß, ganz groß, seelisch, menschlich.
Seit 35 Jahren leitet sie einen wöchentlichen Treff für psychisch belastete Menschen. Woche für Woche ist sie da, jeden Montagabend. Sie organisiert Vorträge, Filmabende oder Ausflüge. Ist da, wenn die Menschen sie brauchen, gibt ihnen Halt und der Gruppe Zusammenhalt. Zornig kann sie werden, richtig zornig, wenn sie erlebt, dass einer der Menschen, um die sie sich sorgt ungerecht oder unwürdig behandelt wird. Oder wenn meine Kirche Geld für Dinge ausgibt, die sie nicht für nötig hält, statt es den Armen zu geben. Nicht erst seit sie das Bundesverdienstkreuz bekommen hat, sagt sie was sie denkt, sei es gelegen oder ungelegen. Maria hat mit ihren 68 Jahren eine unglaubliche Energie. So wie ich sie kenne, speist sich ihre Energie aus ihrer tiefen Liebe zu den Menschen. Auf ihrem aktuellen Jahresprogramm für ihre Gruppe ist ein Foto und ein Gedicht, die ganz wunderbar zu ihr und ihrem Engagement passen: Es ist das Foto eines römischen Brunnens. Eines dieser dreistöckigen Gebilde, die Wasser spenden und mit dem Wasser spielen. An der Spitze sprudelt das Wasser in einer kleinen Fontäne und sammelt sich in einem ersten Becken. Von dort fließt es in ein zweites, größeres und dann in ein noch größeres Drittes bis es sich am Grund sammelt und von dort wieder nach oben sprudelt. 
Ein Kreislauf, des Gebens und Nehmens, der so gut zu meiner Freundin passt und zu den Menschen, die sich um andere kümmern. Sie geben viel und die, die nehmen geben auch wieder viel zurück und weiter. Ein - Gott sei Dank - nicht endender Kreislauf der Liebe. Neben dem Foto des Brunnens steht ein Gedicht von Konrad Ferdinand Meyer. Es heißt „Der römische Brunnen" und fasst diesen Kreislauf der Liebe ganz wunderbar in Worte. Und dieses Gedicht spreche ich heute Morgen für Maria und all die Menschen, die den Kreislauf der Liebe am Leben halten. 

„Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
er voll der Marmorschale Rund.
Die, sich verschleiernd, überfließt
in einer zweiten Schale Grund.
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
der dritten wallend ihre Flut.
Und jede nimmt und gibt zugleich
und strömt und ruht..."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14156
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