Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich hätte gerne 100 Gramm ewiges Leben, hat die Kundin vor mir im Teeladen gesagt. Die Verkäuferin nimmt eine der vielen silbernen Dosen, öffnet sie und wiegt 100 g ewiges Leben ab. Sorgfältig klebt sie das Etikett mit dem Namen darauf. Ewiges Leben. Die Kundin zahlt und geht.
Als ich an der Reihe bin, sage ich zur Verkäuferin: Jetzt machen Sie uns auch noch Konkurrenz. Bisher dachte ich, wir in der Kirche sind für das ewige Leben zuständig. Jetzt kann man das sogar 100grammweise bei Ihnen bekommen. Wir haben zusammen darüber gelacht und dann hat sie die Dose herunter geholt. Wollen Sie mal riechen? fragt sie. Riecht irgendwie himmlisch. Süßlich, aber nicht schwer.
Und warum heißt der Tee ewiges Leben? frage ich. Da ist ein Kraut drin, von dem die chinesische Medizin sagt, dass es zu einem langen Leben verhilft, erklärt sie. Aha: ewiges Leben wird verstanden als langes Leben, immer so weiter, eben ewig leben.
Stimmt denn das? Ich frage mich, warum wir das nicht aus den Köpfen bekommen können. Ewiges Leben als endloses Weiter so. Etwas anderes als das, was jetzt ist, können wir uns anscheinend nicht vorstellen. Da nehmen wir einfach das Bekannte und ziehen es lang wie einen Kaugummi.
Wenn ich an den Tee denke, der „Ewiges Leben" heißt, dann fällt mir ein, dass es nicht auf die Länge der Zeit, sondern auf die Qualität der Zeit ankommt. Das kann ich ja beim Teetrinken erfahren. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen da und trinken in Ruhe eine Tasse Tee. Sie haben Zeit. Dankbar blicken Sie auf den Tag zurück oder Sie gehen offen und heiter hinein in einen neuen Morgen. Sie spüren eine Kraft, die aus der Stille kommt. Sie fühlen sich hineingenommen in den Strom des Lebens, mit christlichen Worten gesagt: geborgen in Gott, umgeben von seiner Liebe.
Diese Bilder passen besser zum ewigen Leben, finde ich, als einfach nur weiter so. Nach der Bibel ist ewiges Leben ein anderes Leben, es ist in Gottes Gegenwart gelebtes Leben, von seiner Kraft durchdrungenes Leben. Die Grenzen, an denen wir uns jetzt reiben, sind weg, sie sind aufgehoben. Ewiges Leben ist nicht einfach die Fortsetzung von dem, was immer war. Vielleicht kann ich es umschreiben mit: im Frieden mit allen und allem und auch mit mir selbst. Für einen Augenblick bricht da die Ewigkeit in die Zeit ein, in so einem Augenblick können wir Gott erleben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14125
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