Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Zitternd vor Aufregung stürzt eine alleinerziehende Mutter mit ihrer einjährigen Anna-Lena in mein Büro. Man hat den beiden heute früh den Strom abgedreht. Ob sie hier das Fläschchen wärmen könne? Gewiss - die Abschaltung war angekündigt, die Frau hätte sich als Mutter eines Kleinkindes wehren können. Aber dazu sah sie sich einfach  außerstande.
Dieses Schicksal teilen gegenwärtig mehrere hunderttausend arbeitslose und arme Menschen, die ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können. Was nun, wenn die Strompreise noch weiter steigen? Die Regelsätze der Grundsicherung sind pauschaliert und decken die Mehrkosten nicht. Dann fackeln die Anbieter auch nicht lange und schicken den Monteur, dem es bei dieser Aktion fast das Herz bricht. 
Ein Leben ohne Strom: Machen Sie doch mal einen Selbsttest, wenn Sie heute Abend nach Hause kommen! Da sitzt man frierend im Dunkeln. Die Küche bleibt kalt, in Kühlschrank und Truhe vergammeln die Vorräte. Kaffee oder Tee? Nichts von alledem, was die Laune heben könnte. Kein heißer Hit aus den Boxen, keine Nachrichten aus der Flimmerkiste. Telefon und Internet? Auch die sind saftlos kraftlos. „Es ist, als hätte man mir selbst den Stecker gezogen", meinte sarkastisch ein Betroffener. Dürfen wir uns das in einer humanen Gesellschaft antun? Elektrischer Strom ist heute Teil der Grundversorgung wie Luft und sauberes Wasser. Der wohl gemeinte Ratschlag aus der Politik, auf energiesparende Technik umzurüsten, läuft bei den Einkommensschwachen ins Leere, denn solche Geräte gibt's nicht grade umsonst. 
Also doch einen „Sozialtarif" - sozusagen Strom aus dem Tafelladen? So vertiefen wir die Spaltung nur noch mehr! Statt dessen sollten die Sozialsysteme endlich „armutsfest" werden, das fordern die Wohlfahrtsverbände schon seit langem. Dann könnten auch die Armen ihre Stromrechnungen bezahlen.
Die Politik muss sich allerdings die Frage gefallen lassen: Sind denn die Strompreise überhaupt gerecht? Warum erspart man den größten industriellen Stromfressern die Öko-Umlage und wirft ihnen die billigsten Tarife nach, wenn bei den Armen die Lichter ausgehen?
„Entzieh´ dem Armen nicht den Lebensunterhalt", mahnt die Bibel im Alten Testament. (Jesus Sirach 4,1). „Dreh ihm nicht den Saft ab", könnte man heute ergänzen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14046
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