Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Das muss jeder mit seinem Gewissen ausmachen!“ Das gilt sogar für die Abstimmungen im Bundestag. Auch wenn man es meinen könnte: Die Abgeordneten dort sind nicht an die Linie ihrer jeweiligen Partei gebunden, sondern nur ihrem Gewissen verpflichtet Im privaten Leben gilt das erst recht. Wie ehrlich ich bei meiner Steuererklärung bin, ob ich meinem Mann immer die Wahrheit sage, wie ich meinen Betrieb führe: das muss ich mit meinem Gewissen ausmachen.
Aber was ist das Gewissen: ist das Gewissen jedem Menschen irgendwie angeboren? Weiß also jeder Mensch automatisch, was richtig ist und was falsch? Offensichtlich nicht, denn nach ihrem Gewissen entscheiden die einen so und die anderen anders. Und wenn man sich einigen muss, damit überhaupt was geschieht, was dann? Abstimmen, scheint dann die einzige Möglichkeit. Dann muss die Mehrheit entscheiden, was getan werden soll. Aber kann man mit der Mehrheit entscheiden was gut und richtig ist? Wenn die Mehrheit in einer Schulklasse findet: mit Strebern reden wir nicht, die machen wir fertig. Ist das dann richtig, weil die Mehrheit dafür ist und wahrscheinlich ja auch Gründe dafür nennen kann?
So etwas passiert nicht, wenn man vernünftig entscheidet, sagen viele. Die Vernunft sorgt dafür, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Aber was ist vernünftig? Es könnte für eine Gesellschaft ja durchaus vernünftig sein, behinderte Kinder abzutreiben und ältere Kranke nicht mehr zu behandeln. Aber ist das menschlich? Würden Sie das wollen?
Das Gewissen und die Vernunft brauchen offensichtlich Maßstäbe. Die Idee der Gerechtigkeit und der Freiheit und der Chancengleichheit für alle sind nicht selbstverständlich. Das Gewissen braucht Bilder und Geschichten, an denen es sich orientieren kann. Das Geschichte zum Beispiel von Gott, der alle Menschen nach seinem Bild geschaffen hat. Männer und Frauen, Schwarze und Weiße, Alte und Junge, Gesunde und Kranke. Ich gehe anders um mit dem alten kranken Mann, der sich nicht auf die Rolltreppe wagt und den ganzen Betrieb aufhält, wenn ich das so sehe. Eine Schulordnung wird anders aussehen, wenn die Schulkonferenz das so sieht. Die Richtlinien für die Leistungen einer Krankenkasse wahrscheinlich auch.
Es ist wahr –jede und jeder muss nach seinem Gewissen entscheiden. Aber wer nach seinem Gewissen entscheiden will, muss auch fragen, woran sich das Gewissen denn orientieren kann. Ich glaube, wir Christen sollten wieder mehr über die Bilder und Geschichten reden, an denen wir uns orientieren. Damit keiner, der entscheiden muss, sagen kann: „daran habe ich nicht gedacht.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=140
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