Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Heute wird Reichtum geteilt. Jedenfalls symbolisch. Heute räumen die Mesnerinnen und Kirchendiener die reichlichen Erntegaben auf, mit denen gestern am Erntedankfest die Kirchen geschmückt waren. Landwirte und Kleingärtner haben von dem gebracht, was sie auch in diesem Jahr im Überfluss geerntet haben. Üppig dekorierte Kirchen haben mit vielfältigen Nahrungsmitteln und bunten Blumen gezeigt, wie gut es uns geht. Und dass wir allen Grund haben, dafür dankbar zu sein.
Heute wird das wieder weggeräumt. Die Mesner und Hausmeister bringen die gespendeten Lebensmittel zu sozialen Einrichtungen, wo sie verteilt und verwertet werden. Eine schöne Geste ist das: Die reiche Ernte wird geteilt, so dass alle davon leben können. Es gibt einen Ausgleich.
Aber so ist es nicht immer. Normalerweise geht es anders zu, auch in unserem Land. Vor ein paar Tagen ist der 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung veröffentlich worden. Der sagt: Die Schere zwischen Armen und Reichen in unserem Land wird immer größer. Dem einen Zehntel der ganz Reichen gehört über die Hälfte des Nettovermögens. Und für die ganze untere Hälfte der Bevölkerung bleibt gerade mal ein Hundertstel. Kein Wunder, wenn es Stundenlöhne gibt, von denen man nicht leben kann, selbst wenn man den ganzen Tag arbeitet. So haben Menschen überhaupt keine Chance, sich und ihre Familie voran zu bringen. Und andere verdienen mit angelegtem Geld in kurzer Zeit mehr an Renditen und Zinsen, als einer sein Leben lang mit seiner Arbeit verdienen kann. Das ist nicht nur ungleich - das ist ungerecht. Und das dürfte eigentlich nicht so sein.
Denn in unserem Grundgesetz steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich der Allgemeinheit dienen." Dazu muss man gar nicht Jesus zitieren, der gesagt hat: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie Motten und Rost fressen. Sammelt euch lieber einen Schatz im Himmel." Zum Beispiel, indem ihr für die sorgt, die allein keine Chance haben.
Eigentum verpflichtet  nicht bloß die Reichen zu Mildtätigkeit und sozialem Engagement. Da tun viele eine ganze Menge. Das weiß ich wohl. Aber anscheinend kann man das nicht bloß der Entscheidung der Einzelnen überlassen. Eigentum verpflichtet auch den Staat, finde ich. Der Staat muss für Ausgleich sorgen. Dass es Mindestlöhne gibt, von denen man eine Familie ernähren kann. Dass durch die Steuern wir Wohlhabende unseren Reichtum teilen  für das Wohl der Allgemeinheit. So, wie am Erntedankfest.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13950
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