SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Auch der schönste Sommer will einmal Herbst und Welke spüren." So schreibt Hermann Hesse in einem seiner Gedichte. Das Alter bezeichnen wir gerne als den Herbst des Lebens. Das Alter ist oft beides: ein herrlicher Altweibersommer, ein goldener Oktober und kräftige Herbststürme mit nasskaltem Regenwetter. Das Alter hat viele Gesichter. Aktive, fröhliche Senioren, die bewusst, aktiv und engagiert leben; die reisen, vielleicht noch mal studieren, nordic walkend durch die Parkanlagen ziehen, sich noch mal verlieben, mit Enkelkindern ausgelassen im Garten spielen. Das sind die schönen Seiten des Altwerdens. Der goldene Oktober. Und es gibt die andere Seite. Wenn Menschen nicht mehr so können, wie sie wollen; die Kräfte nachlassen, die Einsamkeit kommt, weil der Partner, die Freundinnen und die Angehörigen längst verstorben sind. Wenn nichts so bleibt, wie es mal war. Wenn das Gedächtnis nachlässt und für viele die Reise ins Vergessen beginnt. Wenn der eigene Tod immer mehr in den Blick gerät. Diese Menschen spüren dann den Herbst des Lebens wie Stürme und nasskaltes Regenwetter. Die Bibel ist da realistisch. Sie erzählt und singt vom Leben in den Psalmen: „Von Jahr zu Jahr säst du die Menschen aus, sie gleichen dem sprossenden Gras. Am Morgen grünt es und blüht, am Abend wird es geschnitten und welkt." (Ps 90,5-6). Unerfüllte Wünsche, verschenkte Möglichkeiten, Leid und Krankheit in Gottes Hände zu legen, dazu lädt der Herbst des Lebens ein. Die letzten goldenen Sonnenstrahlen zu genießen, Rückschau zu halten auf den Frühling des Lebens und die schönen Sommertage; die Ernte zu genießen. Und sich dann eines Tages vom Wind nach Hause, zu Gott, wehen zu lassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13913
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