Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Heute ist: „Tag der Deutschen Einheit". Dazu fällt mir ein Wort von Jesus ein: „Selig, die keine Gewalt anwenden!" Die beiden wollte ich zusammenbringen.
„Keine Gewalt" - im Jahre 1989 haben Menschen mit diesem Ruf eine Diktatur entmachtet. Menschen, auf die eingeknüppelt wurde, die mit Hunden gejagt wurden, die in den Kellern der Staatssicherheit gequält wurden - sie haben sich nicht gewaltsam gewehrt. Mit Gebeten und Kerzen und dem Ruf „Keine Gewalt" haben sie auf der Straße Friedfertigkeit im Sinne Jesu praktiziert. Ein beispielloser Vorgang in der deutschen Geschichte: Und ein unblutiger Umsturz. Dieses Mal ohne andere Völker mit Kriegen und Demütigungen zu überziehen. Für mich ist das ein Wunder biblischen Ausmaßes. 
Was an diesem Wunder besonders erstaunt: Gott braucht keine großen Voraussetzungen, um wirksam zu werden. Die meisten in der damaligen DDR hatten kein christliches Elternhaus. Die jungen Leute sind weithin ohne religiöse Erziehung aufgewachsen. Religionsunterricht an den Schulen gab es nicht. So spürten die jungen Leute auch keinen Mangel an Religion. Sie hatten kein religiöses Grundwissen, kannten keine religiösen Traditionen, setzten sich somit auch nicht von Religion ab - sie hatten keine. 
Und dann die „Montagsdemos" der Christen. Von da aus ging der Geist der Gewaltlosigkeit auch auf andere über. Der Geist Jesu kam buchstäblich auf der Straße über die Menschen.
„Keine Gewalt" - wenn ich das auf mich beziehe, ist es nicht so dramatisch. Aber spannend kann das auch sein. Wenn ich mich bemühe, gewaltlos zu sein, dann könnte das heißen: Ich mache einen Mitarbeiter nicht klein, um mich selbst zu erhöhen. Ich dränge jemanden nicht ins Abseits, um selbst bessere Chancen zu haben. Ich gewinne mein Selbstwertgefühl nicht dadurch, dass ich andere beherrsche. 
Wenn ich es schaffe, keine Gewalt anzuwenden - keine physische, keine psychische, keine geistliche Gewalt - dann haben Menschen Vertrauen in mich. Wenn ich es schaffe, keine Gewalt anzuwenden, dann schätze ich die eigene Würde und habe Respekt vor der Würde des anderen. Dann verhelfe ich womöglich einem anderen zu seinem Selbstvertrauen. Jesus preist Menschen selig, die keine Gewalt anwenden. Die gelernt haben, sich zurückzuhalten und einzulenken. Denen stellt Jesus das „Land der Verheißung" in Aussicht. Ich verstehe das so: Wer gewaltlos ist, der erwartet nicht erst im Jenseits das Himmelreich, er lebt ein Stück weit schon jetzt darin.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13876
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