SWR2 Wort zum Sonntag

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Nachdenkliches zu einem neuen Blut-Test für schwangere Frauen

Das Stichwort Integration ist seit einiger Zeit ein zentrales Diskussionsthema in Politik und Gesellschaft. Gemeint ist damit hier nicht die Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschen und Ausländern im Sinne von Migranten, sondern es geht um behinderte Menschen: Man soll sie weniger als „Sonderlinge" behandeln und vom Alltag unseres Lebens ausschließen, sondern möglichst in die „Normalität" des Lebens zurückholen und besonders Kinder und Jugendliche mit anderen jungen Menschen aufwachsen lassen. Dies alles wird diskutiert im Blick auf die Kindertagesstätten, die Sonderschulen und überhaupt alle Formen von Schulen. Im Ganzen kann man diese Bemühungen gewiss fördern. Es ist erstaunlich, wie sehr sich Behinderte wenigstens in einzelne Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens einfügen können. Die skandinavischen Staaten haben uns dies vorgemacht. Man soll aber auch nicht über das Ziel hinausschießen, denn manchen Behinderten ist damit nicht geholfen, weil sie einfach mehr Hilfe brauchen. Sie bleiben sonst sehr auf der Strecke. Man tut ihnen nichts Gutes, wenn die Integration nur auf dem Papier steht. Hier braucht es viel Fingerspitzengefühl, um für jeden einzelnen Behinderten eine konkrete, angemessene Lösung zu finden.

So sehr man alles tun muss, um behinderten Menschen zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen, so darf man aber auch andere Aspekte im Blick auf das Dasein von Behinderten nicht übersehen. Es geht nicht nur - so wichtig dies ist - um eine bestmögliche Integration, sondern schon um das Existenzrecht vom Behinderten. Einen hohen Anteil an Behinderungen, freilich sehr unterschiedlicher Intensität, haben die Menschen, die an einem Down-Syndrom leiden, mit anderen Worten: unter der Trisomie 21. Es ließ sich in den letzten Jahrzehnten schon statistisch leicht verfolgen, wie die Zahl dieser Behindertengruppe drastisch zurückging. Je eher es gelang, die Behinderung schon im Mutterschoß festzustellen, desto mehr wurden solche potenziell behinderte Embryonen abgetrieben. In der Zwischenzeit sollen nach zuverlässigen statistischen Untersuchungen über 90 Prozent abgetrieben werden.

In den letzten Tagen wurde im deutschen Sprachgebiet ein vorgeburtlicher Test zugelassen, der nur eine Blutentnahme bei der Mutter notwendig macht. Man braucht also keine komplikationsreichen Fruchtwasseruntersuchungen oder ähnliche invasive Untersuchungsmethoden. Die Zulassung dieses Bluttestes auf Down-Syndrom wird die angesprochene Situation gewiss weiter verschärfen. Aus vielen Gründen wird dieser Test immer häufiger verwendet werden, wobei auch ein erheblicher Druck auf die schwangere Frau ausgeübt wird, wenn eine Missbildung festgestellt wird.

Ich will nicht schönfärberisch reden: Ein behindertes Kind verlangt von der Familie, in die es gehört, große Rücksicht und auch eine Veränderung der Lebensverhältnisse. Ich will niemand verurteilen, der diese Last nicht tragen kann. Es gibt aber gerade bei Trisomie 21 sehr verschiedene Grade von Behinderungen. Eltern und Kinder können mit ihnen in nicht wenigen Fällen gut umgehen und leben. Solche Kinder haben oft eine unbändige Fröhlichkeit und können eine ganz erstaunliche Freude auslösen, was man ja nicht vermutet. Ich habe viele Beispiele erlebt und bewundere die Eltern mit ihren Familien, die zu einem solchen Kind Ja sagen.

Der neuzugelassene Bluttest hat medizinisch und technisch gesehen gewiss weniger Risiken. Aber die Ergebnisse entwickeln natürlich bei der Diagnose einer Missbildung oder der Anlage zu einer Krankheit eine eigene Dynamik und „Logik" der Abtreibung. Diesen kann man sich nicht leicht entziehen. Um so mehr muss man den Anfängen widerstehen. Beeinträchtigtes Leben, vielleicht auch beschädigtes Leben hat auch sein Recht auf Existenz. Darum sollten wir uns hüten, über anderes menschliches Leben nach unseren Maßstäben zu verfügen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13713
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