Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Guten Morgen
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Glück und Unglück? Ist das immer so einfach zu unterscheiden? Ich habe da so meine Zweifel, denn oft sehen wir nur einen einzigen Moment und nicht das Ganze - so wie in dieser alten Geschichte:
Es war einmal ein Bauer, der hatte nur ein einziges Pferd und das lief ihm eines Tages weg. Seine Nachbarn klagten: „So ein Unglück. Der arme Mann." Der Bauer aber sagte: „Wer weiß, ob es ein Unglück ist?"
Als einige Tage später das Pferd durch das Hoftor trabte, brachte es ein Wildpferd mit - da hatte der Bauer auf einmal zwei Pferde. „Was für ein Glück", riefen alle Nachbarn. Aber der Bauer sagte nur: „Wer weiß, ob es ein Glück ist?"
Am nächsten Tag wollte der Sohn des Bauern das Wildpferd einreiten. Doch er fiel runter und brach sich ein Bein. Wieder kamen alle Nachbarn und meinten: „So ein Unglück, nein!" Doch der Bauer sagte nur: „Wer weiß, ob es ein Unglück ist?"
In dem Land brach ein Krieg aus. Und alle jungen Männer mussten zur Armee. Nur der Sohn des Bauern nicht, weil der sich ja ein Bein gebrochen hatte. Und wieder kamen alle Nachbarn und freuten sich mit ihm: „So ein Glück!" Aber der Bauer sagte wieder nur: „Wer weiß, ob es ein Glück ist?"
Da endet die Geschichte, an der so viel Wahres ist:  So manches, was uns im Moment als großes Glück erscheint, ist es gar nicht. Und anderes, das uns zunächst als Unglück erscheint, entwickelt sich später ganz anders.
Eine ältere Dame aus meiner Kirchengemeinde hat das ganz ähnlich erlebt. Sie hatte wirklich kein leichtes Leben. Ich würde sagen, ein Unglück jagte das andere. Aber trotzdem hat sie eine unglaubliche Ausstrahlung: Sie ist mit ihrem Leben zufrieden, scheint einfach glücklich zu sein.
Ich habe sie danach gefragt und sie meinte nur: „Man muss Gott immer dankbar sein". Die schweren Zeiten in ihrem Leben, so sagt sie, „waren schwer, aber ich habe sie ertragen, weil ich sie aus Gottes Hand genommen habe, gerade die Dinge, die ich nicht begreifen konnte. Glücklich wird man nicht, wenn alles im Leben glatt läuft. Glücklich wird man, wenn man in schweren Zeiten seine Lebenssituation annehmen kann."
Ich bewundere diese alte Dame. Und dieses tiefe Gottvertrauen nehme ich ihr ab. Es sei gewachsen, erklärt sie mir, aber sie habe immer wieder darum ringen müssen, auch das Unglück aus Gottes Hand anzunehmen.
Man kann ein solches Verhalten als naiv bezeichnen. Aber ich denke, diese Dame hat in ihrem Leben erlebt, was Psalm 23 so plastisch ausdrückt: „Und muss ich auch durchs finstere Tal - ich fürchte kein Unheil! Du, Herr, bist ja bei mir; du schützt mich und du führst mich, das macht mir Mut."

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