Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Wo man am meisten fühlt, hat man nicht viel zu sagen“ –
die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) hat das gesagt. Mich beschäftigt dieses Wort. Ich suche es zu verstehen.
Ich liebe einen Menschen und ich werde geliebt. Wir spüren eine tiefe Verbundenheit und fühlen die Schönheit des Lebens. Dann werden wir uns das auch sagen. Aber wir brauchen uns diese Liebe nicht ständig mit Worten bestätigen, beweisen oder gar versuchen zu erklären, was Liebe ist. Da hat man nicht viel zu sagen.
Ich gehe gerne im Wald spazieren, entdecke Pflanzen, höre die Vögel pfeifen und vernehme noch viele andere Geräusche. Sitze ich am Ufer des kleinen Flusses, dann kann ich meditieren und vergesse die Zeit. Ich fühle mich wohl und der Natur tief verbunden. Da ist mir nicht danach zu reden, aber zu staunen und zu schweigen. Da hat man nicht viel zu sagen.
Gelegentlich schaffe ich es, ganz still zu werden, loszulassen, was mir so alles durch den Kopf geht. Dann ahne ich tief in mir etwas davon, was der Apostel Paulus so beschreibt: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!“ (Römer 11,33) Und ich sehne mich danach, mich so für Gott öffnen zu können, dass ich ein wenig – wie Paulus – „die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe“ erfasse, die eine solche Gottverbundenheit möglich machen kann. (Epheser 3,18)
„Wo man am meisten fühlt, hat man nicht viel zu sagen“ – sagte Annette von Droste-Hülshoff.
Wenn ich aber diesen Satz umkehre, dann läuft es mir kalt den Rücken hinunter, und mir kommt dieser Gedanke: Wir Theologen und manch fromme Kirchenleute neigen dazu, viel über Gott zu reden, als ob wir Bescheid wüssten. Hoffentlich kommen dann die tiefen Gefühle, die Seele, die religiösen Erfahrungen nicht zu kurz.
Ich fühle mich herausgefordert und möchte mir das so ins Stammbuch schreiben: „Rede von deinem Glauben, wenn du gefragt wirst – und versuche so zu leben, dass du gefragt wirst.“ https://www.kirche-im-swr.de/?m=1355
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