Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich habe heute Morgen eine Bitte an Sie und mich. Lassen Sie uns vorsichtig sein beim Beurteilen von Menschen. Wenn man Menschen beurteilt und dabei nach wertvoll oder nicht so wertvoll einrangiert, kann man sich leicht vertun. Rankings können Menschen beschädigen.
Sicher, Rankings können auch sinnvoll sein zur Orientierung. Bei Institutionen. Wenn man eine passende Universität sucht oder eine Klinik für eine Behandlung. Oder wenn ich in einer fremden Stadt gut essen will. Aber Menschenrankings? Leicht wird aus einem Ranking ein Ränkespiel.
Warum ich das meine, macht vielleicht ein kleines Beispiel klar: Im Zug reden zwei junge Männer weithin hörbar über ihr Abitur, das sie gerade gemacht haben. Da sagt der eine:
„Hast Du gehört, der Micha, der will jetzt Zahnmedizin machen. Der hat doch nur ne 3.0 im Abi. Möchtest Du von einem Zahnarzt behandelt werden, der nur 3.0 hat? Ich nicht."
„Einspruch, meine Herren," hätte ich da am liebsten gerufen. „Meinen Sie tatsächlich, ein Schulnotenranking kann sagen, ob jemand ein guter Arzt werden kann oder nicht?"
Ich habe nichts gesagt. Weil es mich nachdenklich gemacht hat, ihr schnelles Urteil über den Klassenkameraden. Nachdenklich, ob das nicht sehr oft passiert, dass man andere Menschen so beurteilt und in Ranglisten presst: Nach Noten, nach Aussehen, nach Kleidung, nach Alter. Der taugt, die nicht.
Wie oft ich so wohl anderen Menschen Unrecht tue? Obwohl ich weiß, wie es mir geht, wenn ich mich von anderen so eintaxiert fühle.
Und dann habe ich an eine Geschichte aus der Bibel denken müssen. Eine kluge.
Sie erzählt von Samuel. Samuel hat einen heiklen Auftrag. Der amtierende König ist krank. Darum soll Samuel im Auftrag Gottes einen Nachfolger finden. Nicht irgendeinen natürlich, sondern den Richtigen. Wie und woran erkennt man, wer der Richtige ist? Samuel schaut sich die Söhne einer ehrwürdigen Familie an. Schon beim Ersten, dem Ältesten meint er, der ist es. Groß ist der, stark, beeindruckend.
Aber dann hört Samuel eine innere Stimme, die ihn bremst. „Bleib nicht am Äußeren hängen. Ein Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an."
Noch 6 weitere Söhne sieht er sich an. Keiner ist der Richtige. Zu allerletzt kommt der achte, der kleinste, jüngste. Der sonst die Schafe hütet. Ihn erkennt Samuel als den Richtigen.
Ich frage mich, ist es so schwer, den Rat dieser Geschichte anzunehmen? Sei vorsichtig beim Beurteilen von Menschen. Schau behutsam und blicke tiefer. Und schau auf Menschen mit Liebe.

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