SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Zur Zeit werde ich von meiner Tochter oft so geweckt, dass sie irgendwie auf mich drauf krabbelt und Hoppe-Hoppe ruft. Ich verstehe sofort: Hoppe-Hoppe-Reiter ist angesagt, morgens um 6.00 Uhr. Sie ist jetzt anderthalb Jahre alt - da ist Widerstand zwecklos. Also lasse ich sie auf meinen Knien auf und ab hüpfen, was sie mir mit einem fröhlichen Jauchzen dankt. Nachdem die kleine Reiterin mehrfach in den Graben gefallen ist und durchgekitzelt wurde, stehen wir auf. Das Spiel geht aber trotzdem weiter, eigentlich den ganzen Tag. Denn für meine Tochter ist im Moment alles ein Spiel: wenn ihr die Nudeln zum x-ten Mal von der Gabel rutschen, dann macht sie daraus kleine Pferdchen und lässt mit der Hand in den Mund hüpfen. Alles begleitet von einem fröhlichen Hoppe-Hoppe. Wenn ich dann auf die Idee komme, dass sei ja „nur" ein Spiel und ich ihr die Nudeln wieder auf die Gabel stecken will, werde ich ernst angeschaut und entschlossen zurückgewiesen: nein, jetzt sind die Nudeln kleine Pferdchen und müssen in den Mund hüpfen. Später probiert sie es wieder alleine mit der Gabel. Irgendwann klappt es. Alles ist ein Spiel und alles Spielen ist ernst - bei meiner Tochter wird da gerade nicht getrennt.
Ich muss in mich hineinschmunzeln und bin gleichzeitig auch ein bisschen neidisch. Ernst sein und spielerisch zugleich - das würde mir gut tun. Wenn ich mal wieder nicht vorwärts komme mit dem, was ich mir vorgenommen habe, bin ich frustriert, ärgere mich. Das muss doch schneller gehen, andere können das doch auch. Jedes Mal merke ich dabei: mit Biegen und Brechen komme ich nicht weiter. Meine Tochter ist mir da überlegen. Von Verkrampfung: keine Spur. Ob es schneller gehen könnte, ob ein anderer das noch besser kann: völlig egal.
Ohne es zu wissen, lebt sie mir im Moment vor, was es heißt zu vertrauen: in die eigenen Fähigkeiten und Stärken, in die Menschen, die mir nahe sind, und vielleicht auch in Gott. Denn der begleitet uns, egal ob das Leben gerade ernst ist oder spielerisch oder beides zusammen. Daran lasse ich mich morgen früh wieder erinnern: mit einem fröhlichen „Hoppe-Hoppe". 
Ich wünsche Ihnen einen guten Abend und eine gute Nacht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13444
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