Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich bin überrascht, wie Ihre Sehkraft in kurzer Zeit stark nachgelassen hat" - das hat der Augenarzt zu mir gesagt. Lesen und Schreiben, in die Nähe sehen, das ist mir immer schwerer gefallen und beim Gehen hat es mich verunsichert. Das hatte ich immer deutlicher gespürt. Doch die Diagnose dann hat mich geschockt. Jetzt war es „amtlich".
Dann die Unsicherheit vor der Operation. Kann man diesen Prozess noch aufhalten? Wird das wieder einigermaßen gut? In meinem Beruf brauche ich ein ordentliches Augenlicht. Oder werde ich möglicherweise auf einem Auge blind?
Dank moderner Medizin kann ich nach drei Operationen für mein Alter wieder erfreulich gut sehen. Dafür bin ich sehr dankbar, den Ärzten und Gott. Vor noch nicht allzu langer Zeit wäre ich auf einem Auge blind gewesen. Ich lebe in einem Land, in der die beste medizinische Versorgung selbstverständlich ist. Was heute erreicht wird, damit Menschen wieder sehen können - das grenzt für mich an Wunder.
Denke ich an die sehbehinderten und blinden Menschen - kann ich heute besser mitfühlen. Ich möchte von ihnen lernen, in meinem Innern mehr und tiefer wahrzunehmen. Vielleicht muss ich als Sehender manchmal die Augen schließen, um besser sehen zu können.
Ich denke auch an die sehbehinderten Menschen in den Armenhäusern der Welt, die keine Chance haben, geheilt zu werden. Es fehlt dort an den medizinischen Voraussetzungen oder sie haben kein Geld für Operationen, die ihnen mit oft recht einfachen Mitteln die Sehkraft wiedergeben könnten.
Doch selbst wenn es Menschen gibt, für die ihr Blindsein endgültig ist, so muss es nicht ihr ganzes Wesen und ihre Existenz ausmachen. Ich wünsche ihnen, dass sie über die Welt und die alltägliche Wirklichkeit hinaus schauen können. Und ich halte auch das für möglich: Wer nie das Licht der Welt gesehen hat - der kann vielleicht tief innen ein großes Licht  schauen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13372
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