Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Darf man sich gegen die eigenen Eltern wehren? Den eigenen gewalttätigen Vater sogar anzeigen? Man kann sich über so eine Frage wundern. Aber die junge Frau ist inzwischen so verängstigt, dass sie nicht mehr aus noch ein weiß. Seit über dreißig Jahren misshandelt ihr Vater sie schwer und beschimpft sie.
Keiner würde für mich aussagen, glaubt sie. Den Nachbarn tritt der Vater freundlich und zuvorkommend gegenüber, die würden kaum glauben, wie es in der Familie zugeht. Und die Mutter: Die sagt ihr, dass man sich gegen die Eltern nicht zur Wehr setzen dürfe. Respektlos sei das und undankbar, erst recht, wenn sie den Vater anzeigen würde. Schließlich hätten die Eltern Ausbildung und Studium bezahlt.
Kein Wunder, dass die junge Frau nicht mehr aus noch ein weiß. Was kann man ihr raten? Ich habe ihr eine E-Mail geschrieben:
Selbstverständlich haben Sie als erwachsene Frau das Recht auf eine eigene Meinung und selbständiges Denken und Urteilen, auch wenn dies von den Meinungen Ihrer Eltern abweicht. Das Ziel elterlicher Erziehung sollte es ja gerade sein, Kinder zu mündigen Erwachsenen zu erziehen, die selber für Ihr Leben Verantwortung tragen können. Ihre Mutter macht Ihnen ein schlechtes Gewissen und verweist auf die Gehorsamspflicht gegen die Eltern und auch darauf, dass Ihre Eltern schließlich Ihr Studium bezahlt haben. Ich glaube aber, dass sie damit einfach die Ruhe in der Familie gewährleisten will. Das 4. Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren" heißt aber gerade nicht: „Du sollst Deinen Eltern gehorsam sein". Vielmehr richtet sich das Gebot, die alten Eltern in Ehren zu halten an die erwachsenen Kinder. In einer Zeit ohne Sozialversicherungen wurden die Kinder verpflichtet, ihre alten Eltern zu unterstützen und nicht dem sozialen Elend preiszugeben. Was das in ganz anderen Lebensverhältnissen heute bedeutet, muss neu überlegt werden. Jedenfalls ist es nicht die Verpflichtung zu Unterwerfung und Gehorsam. Das war es auch nie, auch wenn manche Eltern das anscheinend gern so sehen würden.
Für die junge Frau hoffe ich, dass sie Menschen findet, die ihr beistehen. Wenn es sein muss die Polizei, vielleicht reicht auch ein Anwalt oder eine Beratungsstelle. Auch die Kirche bietet übrigens solche Beratungsstellen, denn wir Christen lassen uns vom Apostel Paulus sagen: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Deshalb ... unterwerft euch nicht wieder dem Joch der Knechtschaft". (Gal 5,1). Dabei, denke ich, sollten wir die unterstützen, die nicht mehr aus noch ein wissen.  

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13330
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