Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Jetzt trauern die einen und die anderen sind immer noch siegestrunken, weil ihre Mannschaft gewonnen hat. So ist das immer nach den großen Endspielen.
Wir sind die größten und die besten - dieses Gefühl hält bei vielen noch eine ganze Weile an und färbt ab, auch auf andere Bereiche des Lebens. Die Eurokrise, die Sorgen um die Zukunft, Beziehungsstress - für eine Weile tritt das in den Hintergrund. Wir haben gewonnen! Was kann uns jetzt noch passieren. Alles andere hat für eine Weile Pause.
Und wenn wir verloren haben? Für die Verlierer bricht eine Welt zusammen. Man kann es ihnen ansehen. Wir haben verloren! Bloß gut, dass wir uns aneinander festhalten können. Und uns gegenseitig erinnern: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.
Ich bin nun kein Fußballfan - aber ich kenne viele Fußballbegeisterte und mag sie - vor allem meine Söhne. Und ich wundere mich manchmal, warum sie so verächtlich reden über die Fans der Gegner. Sie müssten sich doch eigentlich gut verstehen, denke ich immer. Sie wissen doch alle, wie einem zumute ist, wenn man verliert. Wie einem da für eine Weile die Welt zusammenbricht. Sie wissen auch, wie gut es tut, wenn man gewinnt. Wie man da außer Rand und Band ist vor Freude. Warum können sie da die anderen nicht respektieren, weil sie spüren: Die Fans der Gegner, die sind ja genauso wie ich?
In einem anderen Zusammenhang empfiehlt die Bibel solch mitfühlendes Denken. Da geht es um die Fremden und die Bibel empfiehlt: „Die Fremden sollt ihr nicht bedrängen und bedrücken, denn" - und jetzt kommts - „denn ihr seid auch Fremde gewesen." (2. Mose 22,20)
Weil es einem auch schon so gegangen ist - deshalb kann man die anderen respektieren. Irgendwann war jeder mal fremd irgendwo. Irgendwann hat jeder mal verloren. Da müsste man doch eigentlich begreifen, wie die anderen sich fühlen, die sich jetzt als Verlierer fühlen. Die jetzt enttäuscht sind und wütend. Und man müsste sich eigentlich auch mit denen freuen können, die Erfolg hatten. Mit denen glücklich sein, die wieder auf die Beine gekommen sind. Die diesmal gewonnen haben.
Die anderen sind genauso wie ich. Die fühlen wie ich. Die Fans der anderen Mannschaft auch. So kann nur eine Frau reden, die kein Fan ist, sagen Sie? Das wäre schade, finde ich.
Es wäre doch gut, wenn die Fußballfans diese Erfahrungen mitnehmen könnten ins Alltagsleben im Büro, in der Schule oder in der Fabrikhalle. Und wir anderen auch. Das Zusammenleben würde bestimmt menschlicher. Vielleicht sollten wir es üben, uns in die anderen hinein zu versetzen. Alle. Die Fußballer sagen, glaube ich: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

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