Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Mir fällt das Aufstehen nicht immer leicht. Besonders wenn es am Abend zuvor später geworden ist. Dann führen mein Wecker und ich den „5-Minuten-Kampf": noch einmal kurz umdrehen - eben noch fünf Minuten die Augen zulassen und weiterschlafen. Seit dem Katholikentag in Mannheim ertappe ich mich dabei, dass ich morgens in Gedanken den Beginn eines Liedes summe: „Es ist Zeit, vom Schlafe aufzustehen, den Tag mit klarem Blick zu sehen..." Ein schöner Ohrwurm, ein Mutmachlied. Und sofort habe ich wieder die Menschenmenge vor Augen, die den Abschlussgottesdienst in Mannheim mitgefeiert hat. Da kam etwas in Bewegung. Menschen haben miteinander ihren Glauben - ich würde sogar sagen, ihr Leben gefeiert. Auch wenn es nur eine Momentaufnahme war - es motiviert mich, Neues anzupacken. Also dann: Raus aus den Federn! Aufstehen! Aufbrechen! Oder wie es das Leitwort des Katholikentages eben sagte: „Einen neuen Aufbruch wagen". 
Ich kenne einige Menschen, die die Rede vom Aufbruch nicht mehr hören können. Sie sagen: „Wir brechen auf, und nachher machen wir so weiter wie immer".
Diese Sicht kann ich gut verstehen - das Wort Aufbruch ist abgenutzt und taucht oft an Stellen auf, wo sich eben nichts mehr tut. Trotzdem will ich das Wort nicht ganz aus meinem Wortschatz streichen. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass das ganze Leben aus Aufbrüchen besteht. Und auch in der Bibel finden sich zahlreiche Lebensgeschichten, die von Neuanfängen erzählen. Noomi zum Beispiel ist so eine Frau. Mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen flieht sie wegen einer Hungersnot in ein fremdes Land. Und auch in dem neuen Land verändert sich ihr Leben ständig. Die Söhne heiraten. Der Mann stirbt. Und am Schluss muss sie auch noch den Tod ihrer beiden Söhne miterleben. Noomi hat viel zu ertragen, doch sie resigniert nicht. Sie bricht noch einmal auf. Dieses Mal zurück in die Heimat. Gemeinsam mit ihrer Schwiegertochter Rut nimmt sie ihr Leben erneut in die Hand und sorgt sogar dafür, dass Rut noch einmal heiratet. An Tiefpunkten des Lebens noch einmal Neues anzupacken, finde ich einfach bewundernswert, und Menschen, wie Noomi, gibt es immer wieder. Zum Beispiel die Trümmerfrauen, die nach dem Krieg den Neuaufbau der deutschen Städte ermöglicht haben. Oder die Menschen, die vor Gewalt oder Armut aus ihrer Heimat fliehen, um anderswo neu anzufangen. Und auch, wer einen Menschen verloren hat und sich irgendwann wieder auf neue Beziehungen einlassen kann, zeigt Mut für einen Neuanfang. Ich sehe ein, solche großen Aufbrüche sind nicht jedermanns Sache. Aber sie ermutigen, dass es weitergehen kann. Leben ist Aufbruch! Und zwar immer wieder. In jedem Alter und zu jeder Zeit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13116
weiterlesen...