Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Einen neuen Aufbruch wagen" - unter diesem Motto beginnt heute der Katholikentag in Mannheim. Drei viel versprechende Worte: neu - aufbrechen - wagen. Ich denke begeistert und wehmütig zugleich an den Beginn des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren, einberufen von dem unvergessenen Papst Johannes XXIII. Gegen große Widerstände in den eigenen Reihen hat meine katholische Kirche damals einen „neuen Anfang gewagt". Ein Frühling voll frischer Luft und aufblühendem Leben ging durch die Kirche. Ein „neuer Aufbruch" im Innern der Kirche und nach außen. Im Innern: neue Gottesdienstformen sind entstanden, die Bibelarbeit blühte, viele Katholiken freuten sich, zur Kirche zu gehören und sich in ihr zu engagieren. Sie verstanden sich nicht mehr als „Schafe", die ihren „Oberhirten" zu gehorchen hatten, sondern als das „Volk Gottes" auf dem Wege. Nach außen: die Ökumene, das Bemühen um die Einheit der Christen, erlebte erste Höhenflüge. Das Gespräch wurde gesucht: mit den anderen Weltreligionen, mit der modernen Welt und der Wissenschaft. Die Welt staunte! - In diesem Klima bin ich Priester geworden. 50 Jahre danach herrschen in vielen Bereichen Stillstand: nichts Neues, kein Aufbruch, kein Wagnis - besonders in bestimmten konservativen Kreisen und bei Teilen der Kirchenleitung. Nicht so in vielen Kirchengemeinden, in der Ökumene vor Ort, in etlichen Ordensgemeinschaften. Nicht so in unzähligen caritativen, sozialen und missionarischen Werken hier und weltweit. - Dennoch herrscht Krisenstimmung. Da ist von „Gotteskrise" oder von „Glaubenskrise" die Rede. Viele seien gott-los geworden und würden nicht mehr glauben - solche Vorwürfe halte ich für ein „Ablenkungsmanöver". Es soll davon abgelenkt werden, dass wir in einer hausgemachten „Kirchenkrise" stecken, weil die überfälligen Reformen nicht angegangen werden. Wer diese Reformen chronisch verweigert, der entfernt sich immer mehr von den Menschen. Der nimmt in Kauf, dass sich immer mehr Menschen von der Kirche entfernen. Und das ist bestimmt nicht im Sinne Jesu. „Einen neuen Aufbruch wagen" - ich glaube, das kann gelingen, wenn sich meine Kirche endlich zu tief greifenden Reformen im Geiste Jesu durchringt. Wenn sie sich auf Jesus zurückbesinnt und fragt: Was würde er heute sagen und tun? Wenn meine Kirche den Mut aufbringt und dieses Wagnis eingeht - dann kann wirklich ein Aufbruch gelingen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13029
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