SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Muße - in der Alltagssprache kommt das Wort nicht mehr vor. Was es meint, sollte allerdings aus dem Alltag nicht auswandern. Muße ist ja etwas Anderes als Müßiggang, der als aller Laster Anfang gilt. Sie ist auch nicht einfach Freizeit, in der man nicht arbeiten muss, die aber oft mit anderen Beschäftigungen und Unternehmungen vollgepackt ist. Sie ist vielmehr Zeit, in der man zur Ruhe und zu sich selbst kommen kann. Sie ist keine nur passive Zeit. Wenn der Mensch zur Ruhe kommt, dann wirkt er, hat Petrarca gemeint. Er macht sich auf einen Weg, der wegführt vom nur Nützlichen auf Notwendiges zu. Muße ist Zeit zum Nachdenken, die man sich geben muss, wenn man zu begründeten und dann auch nachhaltigen Urteilen und Entscheidungen kommen möchte. Muße verhindert, dass man sich durch Umstände oder andere Menschen in seinem Tun zwingen und treiben lässt. Sie ist darum, wie Sokrates sagt, eine Schwester der Freiheit.
Zeit zur Muße zu finden, ist im Rhythmus des Alltags allerdings gar nicht so leicht. Wenn ich mir manchmal den Tageslauf und die Fülle der Aufgaben unserer Spitzenpolitiker vor Augen halte, frage ich mich, woher sie die Zeit zum Nachdenken nehmen sollen. Hängt es nicht auch mit diesem Mangel zusammen, dass manche politischen Urteile und Entscheidungen so kurzatmig wirken und auch immer wieder revidiert werden müssen? Natürlich, gerade in der Politik gibt es die ständig wechselnden Herausforderungen, Abhängigkeiten von Anderen, mit denen man sich arrangieren muss, und oft auch taktische Überlegungen im Spiel der Macht und des Machterhalts. Aber ob Zeiten zum Nachdenken nicht in allen Lebensbereichen, in den öffentlichen und den privaten, einfach notwendig sind und bewusst geplant werden sollten? Sie würden allerdings zu einer Entschleunigung im Alltag des Lebens führen.  Würde aber nicht gerade so Gutes möglich? Gandhi hat es überspitzt gesagt: Das Gute geht im Schneckentempo.
Von Jesus wird immer wieder erzählt, dass er sich zurückgezogen hat, um zu beten. Im Gebet hat er die Kraft für seinen Auftrag gefunden. Wie viel mehr brauchen Menschen, die glauben wollen, Zeit für das Gebet. Im Gespräch mit Gott finden sie Muße zum Nachdenken über das, was gut ist und gut tut. Sie holen sich in ihm Kraft für den Alltag. Dort soll das Gute ja getan werden. Sie finden in der Zeit für das Gebet nicht nur sich selbst, sondern Gott, der mit ihnen ist, auch wenn das Gute in ihrem Leben Fragment bleibt. und der sie zum Vertrauen auf ihn befreit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12958
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