Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Die einen drehen sich nochmals in den Federn, andere rüsten sich für eine Maientour. Andrea aber hat soeben ihre kleine Tochter Annika aus dem Schlaf gerissen und bringt sie zur Oma. Die alleinerziehende Mutter schafft als Mini-Jobberin in einem Supermarkt. Mit den mickrigen 400 Euro kommt sie natürlich nicht über die Runden. Um sich noch ein paar Kreuzer dazu zu verdienen, arbeitet sie auch am Feiertag als „Zimmermädchen" in einem Hotel.
Andrea zählt zu den fast 7 Millionen Menschen in Deutschland, die mit ihrem Lohn kein ausreichendes Einkommen für ein menschenwürdiges Leben erzielen. Darum hängt sie ein zweites Arbeitsverhältnis an. Für ihr Töchterchen bleibt kaum noch Zeit, von den gesundheitlichen Folgen einer solchen Arbeitslast ganz zu schweigen. Zeitlich wird es nicht reichen, sonst hätte sie noch bei der Kundgebung der Gewerkschaft vorbeigeschaut, die heute, am traditionellen „Tag der Arbeit", eintritt für „Gerechten Lohn und soziale Sicherheit". Das sind die beiden Minimalanforderungen an die Erwerbsarbeit. Aber Moment mal! Haben dafür die Gewerkschaften nicht schon vor über hundert Jahren gekämpft? Ja, doch nun ist es wieder so weit! Die „Mickerlöhne" im sogenannten „Niedriglohnsegment" garantieren kein Existenzminimum. Sie verhöhnen geradezu das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit - übrigens ebenso wie absurde Managergehälter. Leistung kann sich doch von Leistung nicht tausendfach unterscheiden. Dass Arbeit nicht einmal mehr vor Armut schützt, ist ein Skandal! Damit nicht genug: Niedriglöhne zementieren aufgrund minimaler Abgaben auch noch die Altersarmut von morgen. Dem schieben die meisten Regierungen in den europäischen Ländern gesetzlich einen Riegel vor. Bei uns aber warten wir immer noch auf einen flächendeckenden Mindestlohn, wie ihn die Gewerkschaften schon lange fordern. Die Bibel geht mit Lohndrückern hart ins Gericht. „An dem Tag, an dem der  Tagelöhner bei dir arbeitet, sollst du ihm auch seinen Lohn geben... Denn er ist in Not und lechzt danach", heißt es in einem sozial-ethischen Regelwerk des Alten Testaments (Deuteronomium 24,14-15). Der Verfasser des Jakobusbriefs im Neuen Testament macht den gerechten Lohn sogar zur Chefsache: „Der Lohn der Arbeiter, den ihr ihnen vorenthalten habt, schreit zum Himmel. Die Klagerufe derer, die eure Ernte eingebracht haben, dringen zu den Ohren des Herrn" (Jakobusbrief 5,4).
Andrea sollte mit einem Einkommen auskommen können. Dann hätte sie auch mehr Zeit für ihre Tochter.

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