Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Einmal im Jahr, wenn die fünf „Wirtschaftsweisen" mit ihrem Gutachten niederkommen, hält die Republik den Atem an. Vermelden diese Wetterfrösche Wirtschaftswachstum, schnellt das Stimmungsbarometer nach oben. Ein steigendes Bruttoinlandsprodukt - das wirkt fast wie ein Glückshormon. In Wirklichkeit aber ist das Bruttoinlandsprodukt eine eher zweifelhafte Nummer. Drastisch ausgedrückt: Wer heute seine Karre schrottet oder gar einen Herzinfarkt erleidet, trägt damit zum Wirtschaftswachstum bei. Doch was hat das bitte mit Glück zu tun? Das Bruttoinlandsprodukt sagt leider nichts darüber aus, wie wir uns fühlen, ob die Schere zwischen Arm und Reich sich noch weiter öffnet, die Arbeit uns auffrisst, die Gesellschaft zerfällt und die Umwelt Schaden nimmt. Es beziffert mit seinen nackten Zahlen nur den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen. Tief im Himalaya liegt Bhutan, ein klitze-kleines Königreich. Das Bruttoinlandsprodukt kann man vergessen! Dafür misst man dort im Auftrag des Königs alljährlich das „Bruttoinlandsglück", für das ein eigenes Ministerium verantwortlich zeichnet. Dieses Zahlenwerk berücksichtigt nicht allein das Wirtschaftswachstum, sondern bezieht das Wohlbefinden der Menschen mit ein. Auch die soziale Sicherung, Bildung und Kultur, den Umweltschutz und die Zufriedenheit der Menschen mit der Regierung finden Eingang in diese Statistik. Der Staat verpflichtet sich sogar in seiner Verfassung, das Glück seiner Bewohner zu fördern. - Da haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Vielleicht fängt er dort an, wo wir im Stellwerk unseres eigenen Lebens damit beginnen, die Weichen von „Wachstum" auf „Glück" umzulegen. Natürlich braucht „Glück" eine ausreichende materielle Basis. Wer ums nackte Überleben kämpft, ist doch nicht glücklich. Aber wie viel Zeit, Kraft und Mühe investieren jene auf der „Haben"-Seite, die eigentlich ein gutes Auskommen haben? Warum wollen sie immer noch mehr „Wachstum"  induzieren? Aus Besitz kann leicht Besessenheit werden. Und dann kann es passieren, dass man sich trotz prall gefüllter Konten armselig fühlt, un-glücklich und leer, weil all das zu kurz kommt, was „Glück" ausmacht: Gesundheit, Wohlbefinden, Zeit für das Schöne und die Liebe, für Muße und Kultur, für Gespräch und Begegnung. 
Ich glaube, die biblische Mahnung ist nicht aus der Luft gegriffen: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?" (Lukas 9,25).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12947
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