Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Eine der schönsten Gleichnisreden Jesu ist die vom „Guten Hirten". Dem gehört die Herde, um ihretwillen riskiert er sogar sein Leben. Diesen Hirten stellt Jesus in hartem Kontrast die angestellten Lohn-Schäfer gegenüber. Die hauen ab, wenn es nach Wolf riecht, weil ihnen an der Herde nichts liegt.
Darf man diese archaischen Bilder aus der Zeit Jesu auf die Führungskultur von heute übertragen? So einfach ist es ja nicht, dass die gekauften, mit Boni und schwindelerregenden Festgehältern ausgestatteten Manager automatisch die schlechten und die Eigentümer-Unternehmer die „guten" Hirten wären! Es kommt nicht auf den Status, sondern schon auf ein paar Qualitäten an. Was zeichnet ihn denn aus, den „guten" Hirten? Die Antwort Jesu: „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich...". „Kennen" - das signalisiert im biblischen Sprachgebrauch immer eine tiefe, menschliche Beziehung. Gute Führungskräfte investieren Kraft und Zeit, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sehen in ihnen keine „Arbeitskräfte", zu denen man sie im betriebswirtschaftlichen Kauderwelsch degradiert, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, mit ihrer Geschichte, ihren Fähigkeiten und Grenzen. Also darf man sie auch nicht einfach nur als „Humankapital" behandeln oder gar zu „Kostenfaktoren" verstümmeln, die es um der Rendite willen zu minimieren oder gar zu eliminieren gilt. Starke Führungspersönlichkeiten werden alles dran setzen, den Menschen gerecht zu werden, mit viel Gespür und Empathie. Denn sie wissen um sich selbst: Auch sie sind  Menschen wie ihre Untergebenen, voller Hunger nach Anerkennung und Liebe. Sie   kennen schlaflose Nächte und kummervolle Tage mit erdrückender Arbeitslast. Vorgesetzte, die sich selber kennen und um ihre Bedürftigkeit wissen, sind bescheiden, anständig, rücksichtsvoll, ohne dabei Führungsqualität einzubüßen. Vielleicht macht dieses Gleichnis vom „Guten Hirten" denen ein wenig Mut, die morgen früh wieder als Meister, als Vorgesetzte, Abteilungsleiterinnen und Chefs auf ihre „Herde" treffen. Und umgekehrt: Vielleicht weckt es auch bei den Beschäftigten Verständnis und Achtsamkeit für jene, die das Sagen haben und schwere Verantwortung tragen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12946
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