SWR1 3vor8

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Ostern

Der Tod ist der größte Affront gegen den Menschen, der größte Schmerz, sein ewiger Feind: Dass unser Leben eine so radikale, unumstößliche Grenze hat, dass ich, dass wir alle diese Welt einmal todsicher verlassen müssen. Dieses schreckliche-schöne Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, mit all seiner Freude, all seinem Schmerz. Am intensivsten ist diese Erfahrung beim Tod von geliebten Menschen. Da stirbt immer auch ein Stück von einem selbst mit. Und wir bekommen eine Ahnung davon, was Leben bedeutet. Auch und gerade durch den Tod, durch den das Leben intensiver wird. Durch diesen schärfsten aller Kontraste. Ostern ist die christliche Antwort auf diesen Lebenskontrast. In unglaublicher Weise stellt der christliche Osterglaube dem Tod die Hoffnung auf Leben entgegen, die Hoffnung auf Ewiges Leben - durch den Tod hindurch. Und wie bei der Liebe so gerät man auch beim Tod und der Hoffnung auf Leben an Sprachgrenzen.
Manche Dichter schaffen es mit ihrer Sprache über diese Grenze hinauszuweisen. Schaffen ein Stück Grenzüberschreitung die uns das Unausprechliche ahnen lässt.
Einer dieser Dichter ist für mich Khalil Gibran. Er war ein religiöser Grenzgänger aus dem Libanon, vom islamischen und christlichen Glauben beeinflusst. Er hat einen Text geschrieben, der für mich einen der schönsten Auferstehungstexte darstellt. Diesen Text möchte ich Ihnen in den heutigen Ostersonntag mitgeben. Khalil Gibran schreibt:

„Ihr möchtet das Geheimnis des Todes kennen? Wie wollt Ihr es kennen, wenn Ihr nicht im Herzen des Lebens danach sucht? ...
Denn Leben und Tod sind eins, so wie Fluss und Meer eins sind. In der Tiefe Eures Hoffens und Wünschens liegt Euer stillschweigendes Wissen vom Jenseits. Und dem Samen gleich, der unter der Sonne träumt, träumt Euer Herz vom Frühling. Was bedeutet Sterben anderes als nackt im Wind zu stehen und in der Sonne zu schmelzen?
Und was bedeutet das Stocken des Atems anderes als seine Befreiung vom Auf und Ab der Gezeiten, um sich zu erheben und zu entfalten und ungehindert Gott zu suchen?  Nur wenn Ihr vom Fluss des Schweigens trinkt, werdet Ihr wahrhaft singen. Erst wenn Ihr den Berggipfel erklommen habt, werdet Ihr anfangen empor zu steigen. Und erst, wenn die Erde Eure Glieder zurück gefordert hat, werdet Ihr wahrhaft tanzen!"

Ich wünsche Ihnen einen schönen Ostersonntag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12816
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