Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Vor zwei Wochen ist Magdalena Neuner, die Biathletin, zurückgetreten. Mit gerade mal 25. Zuerst habe ich das nicht verstanden. Wie kann sie jetzt zurücktreten? Es wäre doch noch so viel möglich gewesen wäre. So viele Erfolge, an denen sie sich hätte freuen können. Und ich, als Zuschauer auch.
Inzwischen sage ich: „Hut ab." Sie hat entschieden: „genug ist genug." Sie hat den Ehrgeiz nicht überspannt. Vielleicht hat sie gespürt. Alles was ich noch mehr will, das wäre falscher Ehrgeiz.
Noch etwas ist mir klar geworden. Und das finde ich noch wichtiger: Es geht auch um meinen, um unseren Ehrgeiz als Zuschauer. Magdalena Neuner ist mit ihrem Rücktritt aus dem Schussfeld unseres Ehrgeizes getreten.
Dieser Ehrgeiz von Zuschauern, der ist bestimmt oft falsch. Übertrieben. Man identifiziert sich mit Sportlern, fiebert mit ihnen mit und richtet ehrgeizige Ziele auf sie. Sie sollen auch für uns siegen.
In Maßen ist das oK. Aber ich glaube, wir Zuschauer sind oft maßlos mit unserem Ehrgeiz. Und maßlos ist falsch.
Die besonders Erfolgreichen vor allem kriegen das ab. Wie Magdalena Neuner. Bei der WM in Ruhpolding waren die Leute enttäuscht, als sie mal keine Medaille gewonnen hat. Dem hat sie sich durch den Rücktritt jetzt entzogen. Gut für sie. Noch besser wäre es, wir würden diesen Zuschauerehrgeiz, den wir anderen drängen, selber mäßigen. Bevor er Menschen krank macht, weil sie an überzogenen Erwartungen zusammenbrechen.
Übrigens, nicht nur Sportler kriegen diesen falschen Ehrgeiz von uns Zuschauern ab. Er trifft viele, die in der Öffentlichkeit stehen. Sogar Politiker. Der Hype um den neuen Bundespräsidenten. Auch an ihn werden ehrgeizige Erwartungen gestellt. Er soll jetzt die Demokratie retten. Auch für ihn wäre es gut, wenn wir unsere ehrgeizigen Projektionen zurückschrauben würden. Er kann es ja nicht machen wie Magdalena Neuner und sich schützen durch Rücktritt.
Wozu der falsche Ehrgeiz des Publikums führen kann, das zeigt die Bibel sehr drastisch an Jesus: Ein großer Ruf eilt ihm voraus, als er nach drei Jahren Wirken in der Provinz nach Jerusalem einzieht. Im Triumphzug begleiten ihn die Menschen in die Stadt. „Hosianna" jubeln sie ihm zu. Er soll es richten und endlich die Römer vertreiben. Keine Woche später hat sich der maßlose Erwartungsdruck total verkehrt. „Kreuzige ihn" schreien sie. Vielleicht dieselben, die ihn vor kurzem noch gehypt haben. Jesus ist auch dem maßlosen Ehrgeiz des Publikums zum Opfer gefallen.
Ich glaube, Magdalena Neuner hat es gut gemacht mit ihrem Rücktritt. Und es ist an Ihnen und mir, es auch gut zu machen: Andere nicht mit falschem Ehrgeiz zu überziehen. Dann wird das Leben auch für öffentliche Personen einfacher. Und auch der Sport wieder menschlicher.

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