Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Vater, Herrlichkeit, Ewigkeit, Amen", das sind die Worte einer alten, dementen Frau. Sie wiederholt sie immer wieder, solange bis sie ihre Mitbewohnerinnen im Pflegeheim damit nervt. „Vater, Herrlichkeit, Ewigkeit, Amen.". Und immer wieder schießt sie das Wort Freiheit dazwischen.
Vielleicht ist es ja ein Zwang aus ihren Kindertagen, in denen man Gebete auswendig lernen musste. Und das Wort „Freiheit" vielleicht der Drang diesen Zwang zu durchbrechen. Vielleicht sind die aneinander gereihten Worte aber auch eine Art Mantra, das gebetsmühlenartig Stabilität und innere Ruhe vermittelt. Durch den regelmäßigen Rhythmus und vielleicht auch durch die tiefe Bedeutung der Worte. Das Wort Vater, das für Lebensspender, Schutz und Stärke steht. Herrlichkeit, das für die Schönheit und Größe dieser Welt steht und vielleicht auch der anderen. Ewigkeit, für die Zeit, die nicht gemessen ist, die pure Gegenwart ist ohne Anfang und Ende. Und Amen, das Wort, das beschließt und zustimmt. Demenz wird als Krankheit bezeichnet. Demenz heißt „ohne Verstand". Geschätzte 1,2 Millionen Menschen in Deutschland sind dement. Klar, dass dieser Zustand des abnehmenden Verstandes in unserer Welt, die so rational  und kontrolliert ist, als Katastrophe gesehen wird. Das verstehe ich und auch ich habe Angst mal die Kontrolle über mein Leben zu verlieren. Und auch ich wollte anderen Menschen nicht zur Last fallen. Denn demente Menschen sind eine immense Last für Ihre Angehörigen, die damit auch nicht allein gelassen werden dürfen. Aber bei aller Angst und Belastung verliert man auch leicht aus den Augen, was die Kehrseite dieses Zustandes sein könnte. Dass ein dementer Mensch in einer anderen Welt lebt. In einer Welt der Gefühle und der Erinnerungen. Mit ganz anderen Qualitäten und Fähigkeiten. Eine Fachfrau aus der Seniorenarbeit hat mir von einer dementen Frau erzählt, die scheinbar völlig weggetreten von dieser Welt gewesen sei. Sie war aber immer wieder an den Betten von gerade Verstorbenen in ihrem Pflegeheim zu finden. Sie muss also gespürt haben, wenn diese ans Sterben kamen, hat sich zu ihnen gesetzt und sie still dabei begleitet. Ich will die Demenz weiß Gott nicht verklären, da kommt, wenn die geburtenstarken Jahrgänge mal alt werden noch einiges auf uns zu. Aber vielleicht lehren uns die dementen Menschen ja auch wieder mehr in Kontakt mit dem Leben zu kommen, das unter der Oberfläche ist. Und jenseits dessen, das wir sehen und hören, verstehen und planen können

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