Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05MRZ2012
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In einem kleinen Dorf wurde eine verheirate Frau mit einem anderen Mann erwischt. Da dies nach den Moralvorstellungen der Dorfbewohner nicht nur eine Schande für ihren Ehemann, sondern für das ganze Dorf darstellte, wurde sie öffentlich angeklagt und erhielt die höchste Strafe: Sie sollte von der Klippe hinabgestoßen werden. Am nächsten Tag trafen sich alle bei der Klippe, man brachte die Frau herbei, führte sie an den Klippenrand und gab ihr einen Stoß, so dass sie hinabstürzte. Danach gingen alle weg. Was niemand bemerkte: Ihr Mann war dabei gar nicht anwesend. Am nächsten Morgen sahen die Leute den Ehemann fröhlich und gelassen vor seinem Haus. Im Haus selbst sahen sie dann zu ihrer großen Verwunderung auch die Ehefrau. Was war geschehen? In der Nacht vor der Vollstreckung des Richterspruches hatte der Mann unterhalb der Klippe ein großes Netz in die Felswand gespannt. Als seine Frau hinabgestoßen wurde, fiel sie in das Netz, konnte sich befreien und ging nach Hause. Ihr Mann, der seine Frau sehr liebte, hatte ihr verziehen. Zugegeben, das klingt alles zu schön, um wahr zu sein. Trotzdem ist es eine beeindruckende Geschichte davon, was eigentlich die Kraft der Vergebung ist: Liebe. Natürlich hatte seine Frau ihn betrogen und damit Schuld auf sich geladen. Natürlich wusste der Mann das und mit ihm das ganze Dorf. Aber er spürte offensichtlich auch, dass die Verurteilung der Frau falsch war, denn sie machte die Schuld ja nicht wieder gut und zerstörte sogar das Leben des Mannes. Sein Liebe zu ihr und das, was sie miteinander verbindet, war stärker als der Wunsch nach Strafe oder Rache. Wir sind in der zweiten Woche der Fastenzeit. In dieser Zeit vor Ostern geht es den Christinnen und Christenja vor allem um die Besinnung auf das Wesentliche, wie man so schön sagt. Was ist wichtig? Was müsste ich ändern? Gibt es Schuld auch in meinem Leben? Mir fällt die Mahnung Jesu ein: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet." Wichtiger als Fasten und Verzicht auf Genuss ist meiner Meinung nach der Verzicht auf Besserwisserei und Verurteilung anderer. Wie leicht verurteilen wir Menschen, nur weil sie anders sind als wir oder etwas tun, was unseren Moralvorstellungen nicht entspricht oderunsnicht gefällt. Jesu Aufforderung ist klar: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet."  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12615
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